Bundeswirtschaftsminister Werner Müller zum Atomkonsens im ZEIT-Interview: "Die Stromwirtschaft kostet der Ausstieg nichts"
Kernenergie international "in einem Restnutzungsprozess"
Hamburg (ots)
Durch den Atomkonsens zwischen Regierung und Wirtschaft entsteht den Stromunternehmen kein wirtschaftlicher Schaden. "Die Stromwirtschaft kostet der Ausstieg nichts", sagte Wirtschaftsminister Werner Müller in einem Interview mit der Hamburger Wochenzeitung DIE ZEIT. Auf den Strompreis wirke sich der Ausstieg sogar "eher günstig" aus, weil Investitionen für neue Gaskraftwerke "um ein Vielfaches niedriger" seien als für neue Kernkraftwerke. Als "Wunschdenken" bezeichnete der parteilose Wirtschaftsminister die Erwartung vieler Grüner, vom deutschen Atomkonsens gehe ein weltweites Signal für die Beendigung der Atomkraftnutzung aus. Mit Ausnahme von Japan und Frankreich befinde sich die Kernenergie ohnehin überall "in einem Restnutzungsprozess", so Müller. "Was in Deutschland jetzt passiert, ist also nichts anderes als das, was in allen anderen EU-Staaten ebenfalls geschieht. Nur: Wir haben es jetzt mal aufgeschrieben", so Müller zur ZEIT.
Skeptisch äußerte sich der Wirtschaftsminister zu den Möglichkeiten, den vermehrten Import ausländischen Nuklearstroms zu verhindern. Es könne sein, so Müller, "dass wir sehenden Auges mit diesem unerfreulichen Zustand leben müssen". Demgegenüber erwartet er nach dem Atomkonsens keinen Mangel an Fachkräften, die für den Weiterbetrieb und die Entsorgung der Atommeiler noch notwendig sind. "Ich bin davon überzeugt, das es der Industrie gelingen wird, das nötige Personal zu finden. Sachverstand ist käuflich", so Müller.
Um trotz des langfristigen Atomausstiegs den Klimaschutz zu gewährleisten, sprach sich Müller für eine "wirkliche Effizienzrevolution" aus. Bei der rationellen Energieanwendung müssten "geradezu radikale Fortschritte" realisiert werden, vor allem im Straßenverkehr und bei der Wärmeversorgung. Für den Klimaschutz sei das Jahr 2005 aber ohnehin "nur eine Durchgangsstation". Für das Jahr 2020 würden Einsparziele von "rund 40 Prozent Kohlendioxid" diskutiert, so Müller. Jeder müsse wissen, sagte er, dass die Steigerung der Energieeffizienz ebenso wie die Erschließung neuer Energiequellen sich in den Preisen niederschlagen werden. Die deutsche Ökosteuer sei dagegen "eine Lapalie". Einen späteren Wiedereinstieg in die CO2-freie Kernenergie schloss Müller nicht aus. Die Frage könne sich in einigen Jahrzehnten tatsächlich stellen, sagte er der ZEIT. Dann würden man erleben, dass gerade der Naturschutz an der Spitze der Bewegung stehe.
Diese Vorabmeldung aus der ZEIT Nr. 27/2000 mit Erstverkaufstag am Donnerstag, 29. Juni 2000 ist unter Quellen-Nennung DIE ZEIT zur Veröffentlichung frei. Der Wortlaut des ZEIT-Interviews kann angefordert werden.
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