Frühere SPD-Kultusministerin in NRW gibt ihrer Partei Mitschuld an Lähmung der Bildungspolitik
Hamburg (ots)
Anderthalb Wochen vor der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen hat die langjährige SPD-Kultusministerin Gabriele Behler in der ZEIT mit der Bildungspolitik ihrer eigenen Partei abgerechnet. In den siebziger und achtziger Jahren hätten Sozialdemokraten gymnasiale Bildung als reaktionär abgewertet, sich von einem konsequenten Erziehungsverständnis verabschiedet und in den Schulen zu wenig auf Leistung geachtet. "Statt 'Fordern und Fördern'", schreibt Behler, "hieß die Parole 'Fördern statt Auslesen'." Zudem betrachtete die Parteiführung die Bildungspolitik als "Ventil für das sozialistische Gären in der SPD". Damit, so Behler, "lud die SPD ein gerüttelt Maß an Mitschuld an dem Kulturkampf um die Schulstruktur auf sich, der die deutsche Bildungspolitik nahezu zwei Jahrzehnte lang lähmte."
Mythen und Romantizismen prägten auch heute noch vielerorts die Bildungspolitik der SPD. "Keine SPD-Konferenz, kein regionaler Parteitag", so Behler, "auf dem zurzeit nicht wieder die vermeintlichen Heilsgewissheiten verkündet würden. Von Franz Müntefering über Edelgard Bulmahn und Heide Simonis bis zum Unterbezirksdelegierten aus Köln oder Frankfurt. Da feiern manche Mythen eine fröhliche Auferstehung." Immer wieder würden die Probleme der Gesamtschulen geleugnet, die trotz guter Ausstattung weder mit guten Schülerleistungen noch mit Erfolgen in der Chancengleichheit aufwarten könnten.
Mit Behler kritisiert erstmals eine prominente Sozialdemokratin systematisch die SPD-Bildungspolitik der vergangenen Jahrzehnte. Die Schulstudie Pisa stellte der SPD ein vernichtendes Zeugnis aus: In den traditionell SPD-regierten Ländern wie Nordrhein-Westfalen sind die Leistungen der Schüler schlechter und die Schulen ungerechter als in Unionsstammländern wie Bayern. Behler war von 1995 bis 2002 Kultusministerin in Düseldorf. Im Januar 2005 legte sie ihr Landtagsmandat aus Protest gegen ein neues Schulgesetzt nieder.
Die Modernisierung des deutschen Bildungswesens sei nur im Konsens der Volksparteien möglich, so Behler in der ZEIT. Der sei nur dann erreichbar, "wenn beide großen politischen Lager auch ihre eigenen Verirrungen und Versäumnisse der Vergangenheit aufarbeiten und nicht liebevoll gepflegte Mythen einfach weitertradieren". Dieser Aufgabe müssten sich auch die Konservativen stellen, die beispielsweise jahrzehntelang gegen die Ganztagsschule gekämpft hätten unter der Parole der Verteidigung der christlichen Familie.
Den kompletten Beitrag der ZEIT Nr. 20 vom 12. Mai 2005 senden wir Ihnen gerne zu.
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