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Börsen-Zeitung: Merrill Lynch außer Kontrolle, Kommentar von Bernd Neubacher zu den unerwartet hohen Abschreibungen von Merrill Lynch im dritten Quartal

Frankfurt (ots)

An Wall Street löst Stanley O'Neal, Chief
Executive von Merrill Lynch, den Citigroup-Chef Charles Prince als 
Buhmann ab. Schlimm genug, dass der US-Broker im dritten Quartal 
insgesamt 9 Mrd. Dollar abschreiben muss. Schwerer wiegt, dass die 
Belastungen noch vor zweieinhalb Wochen weitaus niedriger beziffert 
wurden und Anleger bis zuletzt im Dunkeln tappten, was das Ausmaß der
Misere angeht.
Sicher ist bei Gewinnwarnungen in turbulenten Zeiten eine gewisse 
Streuungsbreite zuzugestehen. Bei Citigroup, die ihre Hiobsbotschaft 
wenige Tage vor Merrill überbracht hatte, lagen die Belastungen 
letztlich um ein Zehntel über dem angekündigten Volumen - Merrill 
aber leistet sich nun eine Abweichung von strammen 44%.
Dies lässt zwei Schlüsse zu. Zum Ersten: Merrill Lynch hat die 
Lage lange deutlich schöner dargestellt, als sie gewesen ist - dies 
wäre eine Steilvorlage für Aktionärsaktivisten, Fondsgesellschaften 
und Anlegeranwälte<NO1>, sich für Verluste mit ihren Aktien am 
Emittenten schadlos zu halten<NO>. Zum Zweiten: Der Broker, der im 
Verbriefungsgeschäft so groß auftrumpfte, hat die Übersicht über sein
Risiko verloren, allem voran in seiner Schlüsselsparte Fixed Income, 
Currencies&Commodities, welche im zweiten Quartal allein gut ein 
Viertel der Konzerneinnahmen beisteuerte. Beides schmeichelt dem 
Management nicht.
Bei der Absetzung der beiden Chefs der Anleihesparte dürfte es 
daher kaum bleiben. Die Position von Finanzchef Jeffrey Edwards sei 
nicht in Gefahr, hat die Bank vor wenigen Tagen erklärt. Doch wie es 
mit der Halbwertzeit der Erklärungen Merrills bestellt ist, haben die
Anleger gestern erfahren.
Das Problem des Instituts wird O'Neal auch mit der Berufung eines 
neuen Finanzvorstands nicht lösen: Mit seinem aggressiven 
Wachstumskurs hat er die Bank mehr oder minder wieder dorthin 
gebracht, wo sie schon war, als er Ende 2002 nach Ende der 
New-Economy-Euphorie das Zepter übernahm. Auch diesmal wird das 
Institut um groß angelegte Stellenstreichungen kaum herumkommen, auch
diesmal wird es sich strategisch neu ausrichten müssen.
Ob dies mit oder ohne O'Neal passieren wird, darüber wird auch die
Performance auf kurze Sicht entscheiden. Eine Bank aber, die noch 
Milliarden an Problemkrediten loswerden muss und sich mit ihrem 
Wagemut eben erst die Finger verbrannt hat, macht fürs Erste keine 
großen Sprünge.
(Börsen-Zeitung, 25.10.2007)

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