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WAZ: Nach dem Erdbeben in China - Die guten Herrn von Sichuan. Leitartikel von Lutz Heuken

Essen (ots)

Im Januar noch konnte die Welt erleben, wie Chinas
Behörden ihre Unfähigkeit zelebrierten. Der Winter hatte Teile des 
Landes lahmgelegt, und im Volk wuchs der Zorn über das Versagen der 
Bürokraten angesichts der Schneemassen. Im März dann zeigte die 
chinesische Diktatur ihr hässliches Gesicht: Der Aufstand der Tibeter
wurde niedergewalzt, die Berichterstattung unterdrückt. Weltweit 
wuchsen Zweifel, ob es denn richtig war, die Olympischen Spiele an 
diese Despoten zu vergeben.
Angesichts der Erdbeben-Katastrophe in Sichuan wollen die 
chinesischen Machthaber nun offenbar alles besser machen. 
Regierungschef Wen Jiabao reiste sofort ins Unglücksgebiet, fand 
Worte des Mitgefühls für die Opfer, spornte die lokalen Größen zu 
großen Kraftanstrengungen an und mahnte die Bonzen, ja keine 
Spendengelder zu unterschlagen. Wen Jiabao weiß, was die Chinesen nun
von ihrer Führung erwarten.
Denn die Zeiten, in denen es der Pekinger Clique egal sein 
konnte, was das Volk dachte, sie sind auch in China endgültig vorbei.
Zwar beschränkt sich der Ruf nach bürgerlichen (sprich: westlichen) 
Freiheiten immer noch auf kleine Gruppen. Doch der Wunsch, in 
materiell gesicherten Verhältnissen leben zu können, hat das ganze 
Volk erfasst. Die Furcht der Pekinger Parteiführung vor dem eigenen 
Volk ist nicht unbegründet: Das riesige Heer der rund 200 Millionen 
bitterarmen Wanderarbeiter stellt eine potenzielle Gefahr dar; ebenso
der Unmut der Bürger über drastisch steigende Preise und der Hass auf
die korrupten Beamten vor Ort. In einigen Provinzen - etwa in Tibet -
dringen zudem nationale Minderheiten auf zunehmende Autonomie.
Auf all das wird die Kommunistische Partei eine Antwort finden 
müssen. Ohne dem Volk zumindest in bescheidenem Maße Wohlstand und 
eine gewisse Art Mitbestimmung zu garantieren, hat die Führung mit 
ihrem Modell der kapitalistischen Entwicklungsdiktatur jegliche 
Legitimation verloren. Käme es aber in China auf breiter Front zu 
Unruhen, würde das riesige Land unbeherrschbar, wäre das Ende der 
alten Eliten möglicherweise rasch eingeläutet.
Ohne die Olympischen Spiele wären die Pekinger Despoten wohl 
geneigt, vor allem auf die hergebrachte Taktik - unterdrücken, 
leugnen, wegsperren - zu setzen. Jetzt, da die Welt zuschaut, 
verbietet sich das weitgehend. Vielleicht profitieren ja die Menschen
im Erdbebengebiet von Sichuan von Olympia. Und vielleicht merken die 
Herren in Peking endlich, dass man das Volk auch anders behandeln 
kann als mit der Knute.

Pressekontakt:

Westdeutsche Allgemeine Zeitung
Zentralredaktion
Telefon: 0201 / 804-2727
zentralredaktion@waz.de

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