Westdeutsche Allgemeine Zeitung
WAZ: Sozialenzyklika des Papstes - Maßstäbe für die Weltenlenker. Leitartikel von Angelika Wölk
Essen (ots)
Der Zeitpunkt war überirdisch gut: Genau einen Tag vor dem G-8-Gipfel veröffentlicht Papst Benedikt seine erste Sozialenzyklika. Der Papst, der Stellvertreter Christi auf Erden, wendet sich geradezu direkt an die Weltenlenker im italienischen L'Aquila. In seinem Schreiben allerdings geht es eher um das Irdische: um Finanzmakler, Gier, Wirtschaftskrise, menschliches Versagen und um Gerechtigkeit, Nächstenliebe, das Gemeinwohl.
Papst Benedikt schreibt den Politikern eine deutliche Botschaft ins Stammbuch. Dabei analysiert er die Ausgangslage für seine Schlussfolgerungen in dramatischen Worten: Er spricht von Verzerrungen in der Wirtschaft, unzureichender Flüchtlingspolitik, von Ausbeutung der Umwelt, wachsender Armut nicht nur in armen Ländern, sondern auch in reichen Industrienationen. Es ist eine krasse Anklage an all jene, die das mit zu verantworten haben. Doch Benedikt belässt es nicht bei der Kritik. Seine Enzyklika ist ein Appell zum Umdenken an Politiker, Unternehmen, an jeden Einzelnen. Die Krise als Chance.
Die Forderung nach einer "Weltregierung" hingegen mutet eher weltfremd an, wie aus einem Science-Fiction-Film. Sicherlich: Utopien beflügeln. Und sicherlich steht es einem Papst zu, von einer besseren Welt zu träumen. Ob es jedoch je umgesetzt wird, weiß nur der Himmel.
Doch abgesehen davon: Benedikt überrascht in seiner Sozialenzyklika vor allem mit dem Ton. Er ist versöhnlich, das Wort "Liebe" kommt beinah auf jeder der 70 Seiten vor. Und vieles, vor allem zur Entwicklungspolitik oder zum Thema Umweltschutz klingt wie von den Globalisierungskritikern von Attac.
Seine theologischen Ableitungen dagegen, die er über weite Passagen erklärt, sind für Nicht-Theologen nur schwer verständlich. Sie klingen zuweilen, als fürchte sich Benedikt, in den weltlichen Fragen unterzugehen. Und dennoch: Hier ist nicht der Hauch jener rückwärts gewandten Pius-Bruderschaften zu spüren, den man in den vergangenen Monaten schon überall im Vatikan auszumachen wähnte. Die erste Sozialenzyklika des Papstes trifft mehr den Geist der Zeit. Und in vielen Kapiteln ist sie - ungewöhnlich genug für den feinsinnigen Benedikt - durchaus politisch. Konkretere Rezepte gegen die Krise bietet sie nicht. Doch was sie bietet, das sind Maßstäbe für das, was die Weltenlenker in L'Aquila beschließen wollen. Und deshalb war der Zeitpunkt tatsächlich überirdisch gut.
Pressekontakt:
Westdeutsche Allgemeine Zeitung
Zentralredaktion
Telefon: 0201 / 804-6528
zentralredaktion@waz.de
Original-Content von: Westdeutsche Allgemeine Zeitung, übermittelt durch news aktuell