"Viele offene Fragen": Niedersachsen meldet Skepsis beim Selbstbestimmungsgesetz an
Osnabrück (ots)
"Viele offene Fragen": Niedersachsen meldet Skepsis beim Selbstbestimmungsgesetz an
Justizministerin sieht Ende der "klassischen Quote für Frauen" - Warnung vor Missbrauch der Regelungen - Skepsis bei Hausrecht
Osnabrück. Niedersachsens Justizministerin Kathrin Wahlmann (45) hat Bedenken gegen das neue Selbstbestimmungsgesetz angemeldet, das die Bundesregierung plant. In einem Gespräch mit der "Neuen Osnabrücker Zeitung" sagte die SPD-Politikerin, "ich sehe, dass das bisherige Transsexuellengesetz in vielen Punkten zu hart war. Es jetzt aber komplett in die gegenteilige Richtung zu ändern, verkennt den Ernst dahinter."
"Nach meiner Einschätzung gibt es noch viele offene Fragen", merkte die promovierte Juristin an. In ihrem direkten Zuständigkeitsbereich betreffe dies beispielsweise die Gefängnisse. "Mein jetziger Standpunkt ist, dass jemand, der biologisch ein Mann ist, nicht in eine Justizvollzugsanstalt für Frauen kommt. Ob wir nach dem Selbstbestimmungsgesetz jedoch dazu verpflichtet sind, gilt es zu klären."
Ähnlich sei es im privaten Sektor. Die Frage ist, ob das Hausrecht wirklich greift, um Besuche von Personen mit Penis in Frauenhäusern, -umkleiden oder anderen geschützten Bereichen zu verhindern, auch wenn sie sich als Frau haben registrieren lassen. Nicht in jedem Fall sei es möglich, Einlassregelungen für individuelle Einrichtungen nach dem Hausrecht zu treffen. Hier seien Konflikte mit dem Antidiskriminierungsgesetz denkbar, dem ein Hausrecht nicht widersprechen darf.
Die frühere Richterin benannte auch ein grundsätzliches Problem, das sie mit dem Gesetz hat: Es könne Paritätsregelungen aushebeln, die Frauen eigentlich helfen sollen, beispielsweise bei der Stellenvergabe im öffentlichen Dienst. "Kann ein Mann dann einfach seinen Geschlechtseintrag ändern lassen und sich auf einen Posten bewerben, der eigentlich bevorzugt für eine Frau ausgeschrieben ist? So lässt sich das System unterlaufen", warnte Wahlmann.
"Auf jeden Fall" würde das neue Selbstbestimmungsgesetz das Ende der klassischen Quote für Frauen bedeuten. "Bislang lässt sich die Quote ja recht schnell festlegen. Wenn nun aber noch eine dritte Quote für Intersexuelle oder Transmenschen dazukommt, verzerrt dies das Bild", sagte die Juristin. Zudem: "Müssen wir dann auch für die sechs, sieben weiteren Geschlechter oder auch für andere Bevölkerungsgruppen - unabhängig vom Geschlecht - eine Quote einführen?" Die Möglichkeiten der Personalauswahl seien dann stark eingeschränkt.
Zuletzt berge das Gesetz das Risiko, durch Triebtäter missbraucht zu werden. Spanner lassen sich schon jetzt manches einfallen. Auf die Frage danach antwortete die Ministerin, die breite Masse der Menschen werde sicherlich bei ihrem biologischen Geschlecht bleiben. "Ich halte es aber für durchaus realistisch, dass diese neue Gesetzeslage zumindest von einigen ausgenutzt wird."
Nach dem geplanten Gesetz genügt künftig die eigene, persönliche Erklärung, um Geschlecht und Namen beim Standesamt ändern zu lassen - und das einmal pro Jahr. Bisher liegen die Hürden deutlich höher.
Pressekontakt:
Neue Osnabrücker Zeitung
Redaktion
Telefon: +49(0)541/310 207
Original-Content von: Neue Osnabrücker Zeitung, übermittelt durch news aktuell