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Landeszeitung Lüneburg: ,,Goldstone-Bericht wird verpuffen" -- Interview mit dem Nahost-Experten Dr. Martin Beck

Lüneburg (ots)

"Dieser Bericht wurde in Sünde geboren", wetterte
ein Sprecher der israelischen Regierung gegen den Goldstone-Bericht. 
Die Kommission wirft der Hamas und Israel vor, im Gaza-Krieg 
Verbrechen gegenüber Zivilisten verübt zu haben. Über Tage rang die 
UN-Vollversammlung um eine ausgewogene Resolution. Ungeschicktes 
Taktieren mit dem Bericht kostete Palästinenser-Präsident Abbas so 
viel Reputation, dass er nun mit seinem Rücktritt kokettiert. 
Nahost-Experte PD Dr. Martin Beck ist nicht überrascht: ,,Das einzige
dauerhafte Ergebnis des Goldstone-Berichts ist die Schwächung von 
Abbas." Beck (47), beurlaubter wissenschaftlicher Mitarbeiter am 
GIGA-Institut für Nahost-Studien in Hamburg (German Institute of 
Global and Area Studies), wird ab Januar 2009 das Auslandsbüro der 
Konrad-Adenauer-Stiftung in Amman, Jordanien, leiten.
Über Jahrzehnte handelte die israelische Armee nach dem 
Ehrenkodex, den Feind möglichst human zu behandeln. Was bedeutet der 
Goldstone-Bericht mit seinem Vorwurf der Kriegsverbrechen für Israel?
PD Dr. Martin Beck: Das sind natürlich sehr harte Anklagen, die 
sich aber noch nicht endgültig beurteilen lassen. Die 
Goldstone-Kommission versuchte in erster Linie, Fakten zu sammeln. Um
einschätzen zu können, ob die Vorwürfe zutreffen, bedürfte es 
weiterer, unabhängiger Untersuchungen, zu denen es bisher nicht 
gekommen ist.
Aber die anonymisierten Berichte israelischer 
Gaza-Kriegs-Teilnehmer untermauern die Vorwürfe...
Dr. Beck: Auch bei vergangenen Militäreinsätzen Israels wurde die 
Frage der Angemessenheit debattiert. Eine gewisse Wahrscheinlichkeit 
kann man dem Bericht nicht absprechen, der beide Seiten anklagt, 
Kriegsverbrechen begangen zu haben -- möglicherweise sogar Verbrechen
gegen die Menschlichkeit. Aber es ist zu betonen, dass keine Beweise 
im juristischen Sinne vorliegen.
Gesetzt den Fall, es hat Exzesse im Gaza-Krieg gegeben, zeigt 
dies, dass die Radikalisierung der israelischen Gesellschaft in den 
Streitkräften angekommen ist?
Dr. Beck: Das scheint mir eine sehr weitreichende Schlussfolgerung
zu sein, solange uns noch verlässliche Ergebnisse fehlen. Zu bedenken
ist dabei auch, dass die moralischen Maßstäbe, die an Kriegsführung 
angelegt werden, in den vergangenen Jahrzehnten deutlich schärfer 
gefasst werden. Was an Härten gegenüber der Zivilbevölkerung noch vor
30 bis 40 Jahren als legitim betrachtet wurde, gilt heute -- dank 
einer stärkeren Fokussierung auf Menschenrechte -- nicht mehr als 
hinnehmbar.
Ist Härte nicht auch eine Folge des Bedeutungsverlustes regulärer 
Truppen in asymmetrischen Konflikten, in denen sie die eigene 
Zivilbevölkerung nicht vor Terrorakten schützen können?
Dr. Beck: Ja. Konflikte, in denen eine reguläre Armee einer Miliz
oder Terroristen gegenübersteht, sind sehr viel schwieriger zu 
führen. Schon allein, weil die Unterscheidung zwischen Zivilisten und
Kombattanten etwa im Falle einer nicht-staatlichen Gruppierung wie 
der Hamas sehr schwer fällt.
Wäre es nicht geschickter von der israelischen Regierung gewesen, mit
der Goldstone-Kommission zusammenzuarbeiten? Dr. Beck: Jein. Zwar 
hätte Israel in diesem Fall mehr Einfluss auf die Inhalte des 
Berichtes gehabt. Aber die Hürde war zu hoch. Die Beziehungen 
zwischen den Vereinten Nationen und Israel sind allzu belastet -- mit
Ausnahme des Sicherheitsrates, in dem die USA ein verlässlicher 
Partner Israels sind. Es mangelte für eine fruchtbare Zusammenarbeit 
an ausreichendem Vertrauen zwischen beiden Parteien.
Wie ernst muss der vom UN-Menschenrechtsrat angeforderte Bericht 
genommen werden, angesichts der Mehrheit der arabischen Länder?
Dr. Beck: Abgesehen vom UN-Sicherheitsrat sieht sich Israel in 
allen anderen Institutionen der Weltorganisation stark in der 
Defensive. Israel reagiert darauf, indem es sich von vornherein stark
distanziert.
Aber war diese Haltung gerechtfertigt? Goldstone gilt als äußerst 
seriös und im Menschenrechtsrat haben auch die USA mitgewirkt.
Beck: Wir haben es hier mit einem massiven politischen Problem zu 
tun. Israel musste befürchten, in dem Bericht sehr kritisch 
beleuchtet zu werden. Also zog sich das Land auf die Position zurück,
nur eine interne Untersuchung zuzulassen, aber keine internationale 
-- die klassische Haltung eines Staates, der auf seine 
Souveränitätsrechte pocht.
Wie werden sich die USA verhalten, wenn der Bericht vor den 
UN-Sicherheitsrat kommt? Dr. Beck: Washington wird versuchen, zu 
vermitteln. Eine offene Attacke auf Israel würde mich doch sehr 
überraschen.
Der Goldstone-Bericht trieb einen Keil zwischen Hamas und Fatah. 
Und Israel sah sich zu Unrecht auf der Anklagebank. Stört er die 
Nahost-Friedensbemühungen?
Dr. Beck: Das ist die Interpretation Israels: Danach blockiert die
Untersuchung des Gaza-Krieges einen produktiven Friedensprozess. Auf 
palästinensischer Seite haben die Reaktionen auf den Bericht in der 
Tat die Spaltung vertieft. Zwar wurde die Hamas in dem Bericht 
ebenfalls hart angeklagt, was zunächst einmal Wasser auf die Mühlen 
der rivalisierenden Fatah zu sein schien. Allerdings hat Mahmud Abbas
diesen Vorteil verspielt, als er zunächst dafür stimmte, die Debatte 
über den Bericht erst im März kommenden Jahres zu führen. Das ließ 
die Empörung unter den Palästinensern hochkochen, die ihrem 
Präsidenten einen Verrat an der palästinensischen Sache vorwarfen, 
weil er die aus ihrer Sicht einmalige Chance ungenutzt ließ, Israel 
vor aller Welt auf die Anklagebank zu setzen. Denn aus 
palästinensischer Sicht bricht Israel seit Jahrzehnten 
internationales Recht. In der Folge ist Abbas als mutmaßlicher 
Kollaborateur Israels der politische Verlierer der Debatte und nicht 
die Hamas.
Wieso hat Washington den Bericht nicht als Druckmittel genutzt, um
eine Änderung der israelischen Siedlungspolitik zu erreichen?
Dr. Beck: Die USA haben Druck aufgebaut, um einen zeitlich 
befristeten Stopp des Siedlungsbaus zu erreichen. Einen Schritt 
weiter zu gehen, Israel anzuklagen, würde einen Bruch der Jahrzehnte 
währenden, besonderen Beziehungen bedeuten. Das war mit Sicherheit 
keine ernsthafte Option.
Noch im US-Wahlkampf schien Barack Obama aber eine gleiche Distanz zu
Israelis und Palästinensern anzustreben. Warum kippte Hillary Clinton
die Forderung nach einem Siedlungsstopp als Vorbedingung für einen 
Neustart der Nahostverhandlungen über Bord? Dr. Beck: In der Tat hat 
Barack Obama hier Lehrgeld bezahlt, wie dies übrigens auch manche 
seiner Vorgänger schon erleben mussten: Obama hat Israel wochenlang 
öffentlich unter Druck gesetzt, zumindest einem temporären 
Siedlungsstopp zuzustimmen, konnte sich damit aber weder innerhalb 
der USA noch gegenüber Israel durchsetzen. Im komplexen 
Nahostkonflikt sind auch die Spielräume des mächtigsten Mannes der 
Welt begrenzt.
Wird der Goldstone-Bericht im israelischen Selbstverständnis 
Spuren hinterlassen oder wird er zerredet?
Dr. Beck: Es ist zu erwarten, dass er im tagespolitischen Hickhack
zerpflückt wird. Wie weit israelische Entscheidungsträger 
Konsequenzen aus dem Bericht ziehen, ist schwer einzuschätzen. Mit 
einer offiziellen Selbstkritik rechne ich aber nicht. Die 
Palästinenser werden sich in ihrer Haltung bestätigt sehen, dass die 
Weltgemeinschaft angesichts der von ihnen beschworenen Werte 
eigentlich auf ihrer Seite stehen müsste, aber seit Jahrzehnten den 
verurteilenden Worten Richtung Israel keine entsprechenden Taten 
folgen. Im übrigen ist davon auszugehen, dass Mahmud Abbas dauerhaft 
geschwächt sein wird. Das beschert Israel einerseits zwar eine starke
Verhandlungsposition, andererseits aber einen Verhandlungspartner, 
der Ausgehandeltes in seinem Einflussbereich nicht mehr durchsetzen 
kann.
Das Interview führte Joachim Zießler

Pressekontakt:

Landeszeitung Lüneburg
Werner Kolbe
Telefon: +49 (04131) 740-282
werner.kolbe@landeszeitung.de

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