Landeszeitung Lüneburg: ,,Reagan wäre heute vielen zu moderat" -- Interview mit der Amerikanistin Henriette Rytz
Lüneburg (ots)
Die Europareise des Obama-Herausforderers Mitt Romney wurde zur Fettnäpfchen-Tour: In London brüskierte er die Olympia-Gastgeber mit Zweifeln an der Sicherheit, erzürnte die Palästinenser, indem er Jerusalem zu Israels Hauptstadt erklärte und sein Sprecher beleidigte polnische Journalisten. Henriette Rytz von der Denkfabrik SWP erklärt Romneys Dilemma: "Er fischt als eigentlich moderater Politiker nach den Stimmen der ultrakonservativen Tea Party. Bei den heutigen Republikanern hätte sogar Ronald Reagan Probleme, nominiert zu werden."
Zeigen Mitt Romneys Patzer während der Europa-Reise, dass ihm ein Wahlkampf aufgezwungen wurde, der das rechte Lager überzeugen soll, aber im Widerspruch zu ihm steht?
Henriette Rytz: Amerikanische Präsidentschaftskandidaten müssen immer "Flip-Flopping" betreiben -- also einen Schlingerkurs einschlagen. Das liegt an den verschiedenen Phasen des US-Wahlkampfs: Da sind zunächst die Vorwahlen, an denen sich vor allem passionierte Parteiaktivisten beteiligen, die sich eher am rechten beziehungsweise linken Rand ihrer Partei einsortieren lassen. Dann folgt der eigentliche Wahlkampf gegen den Kandidaten der anderen Partei. Hier müssen die Kandidaten wiederum versuchen, zurück in die politische Mitte zu gelangen. "Flip-Flopping" lässt sich also nicht vermeiden. Mitt Romney schwankt allerdings besonders stark in seinen Positionen. Als Gouverneur von Massachusetts setzte er für seinen Bundesstaat eine ähnliche Gesundheitsreform durch wie Obama 2010 für die gesamten USA -- lehnt diese nun dennoch konsequent ab. Ebenso war er als Gouverneur noch für Steuererhöhungen und Abtreibungen -- jetzt ist er dagegen. Mit seiner Kritik an der britischen Olympiavorbereitung wollte er sich als erfahrener Manager präsentieren -- 2002 war Romney Cheforganisator der Olympischen Winterspiele in Salt Lake City. Dass er damit ein solch kritisches Echo in der Presse finden würde, damit hatte er wohl kaum gerechnet.
Romney besucht den speziellen Verbündeten Großbritannien, das zum neuen Europa zählende Polen und den speziellen Vorposten Israel. Sind das für die Republikaner die Machtzentren der Welt?
Henriette Rytz: Sein Hauptanliegen auf dieser Reise war der Stimmenfang in den USA. Er nutzte die Reise, um Obamas Außenpolitik zu kritisieren und bestimmte Wählergruppen zu umwerben. Entsprechend wählte er die Route: In Polen kritisierte er die Entscheidung des US-Präsidenten, dort das von George W. Bush geplante Raketenabwehrsystem doch nicht zu installieren. Zugleich umwarb er die Amerikaner polnischer Abstammung und die katholischen Wähler. Diese sind vor allem in den im Wahlkampf stark umkämpften "swing states" zu Hause und daher wichtige Wählergruppen. In Israel umwarb Romney jüdische Wähler in den USA, die traditionell eher den Demokraten nahestehen.
Obamas Popularität ist gesunken. Ist die Gespaltenheit der Republikaner seine größte Hoffnung auf eine Wiederwahl?
Henriette Rytz: Ich würde es umgekehrt betrachten: Es ist erstaunlich, dass die Republikaner noch nicht stärker von der schwierigen wirtschaftlichen Lage in den USA profitieren konnten. Die Wirtschaft ist eindeutig das wichtigste Thema im Wahlkampf. Seit Ende 2009 kämpfen die USA mit einer für ihre Maßstäbe hohen Arbeitslosigkeit. Hinzu kommen eine hohe Staatsverschuldung und wachsende soziale Ungleichheit. Viele Amerikaner bekommen die Krise sehr direkt zu spüren, weil das soziale Netz viel zu grobmaschig ist, um negative Folgen ausreichend abzufedern. In der Tat ruft Romney bei seinen Parteifreunden nur verhaltenen Enthusiasmus hervor. Er ist der Kandidat, auf den sich die Partei pragmatisch geeinigt hat. Die Republikaner sind in einen Richtungsstreit verwickelt, der aufgrund des Wahlkampfs nicht offen ausgetragen wird. Die Partei ist gespalten zwischen der fiskalkonservativen Tea-Party-Bewegung, dem sozialkonservativen Flügel der Partei und dem moderaten Parteiestablishment. Diese drei Flügel eint der Wunsch, Obama um jeden Preis abzuwählen. Die Entscheidung für Romney ist also vor allem eine Entscheidung gegen Obama.
Kann Romney einen Tea-Party-Lagerwahlkampf überhaupt überzeugend führen, der selbst eine Krankenversicherungsreform durchgeführt hat?
Henriette Rytz: Mitt Romney war nicht der Wunschkandidat der Tea Party. Als Gouverneur des liberalen Ostküstenstaates Massachusetts vertrat er moderate Positionen, die nicht ins Tea-Party-Profil passen. Zwar versucht er nun durch das "flip-flopping" auch die Stimmen der Tea-Party-Wähler einzufangen, aber insbesondere seine Gesundheitsreform in Massachusetts führt da zu deutlichem Unbehagen. Aus dem starken Wunsch heraus, Obama abzuwählen, unterstützt die Tea Party aber zähneknirschend Mitt Romney. Welche Chancen hat Romney, die notwendige Öffnung der Republikaner gegenüber Minderheiten durchzuführen? Henriette Rytz: Die sogenannten Latinos gewinnen als Wählerblock immer mehr an Bedeutung. Ihr Anteil an der US-Bevölkerung nimmt stetig zu. Zwar haben nicht alle das Wahlrecht, aber spätestens ihre in den USA geborenen Kinder werden wählen dürfen. Einer Prognose zufolge werden Latinos bereits in der Mitte des Jahrhunderts die Hälfte aller Wählerinnen und Wähler stellen. Ignorieren lässt sich diese Gruppe bereits jetzt nicht mehr, vor allem weil sie in den sogenannten "battleground states", also hart umkämpften Staaten wie Florida oder Nevada, besonders stark vertreten sind. Bisher konnte Romney in dieser Gruppe aber kaum punkten. Zweidrittel der Latinos möchte Barack Obama wiederwählen. Insbesondere beim Thema Einwanderungspolitik, das Latinos sehr wichtig ist, verprellt Romney potenzielle Wähler. Er tritt für die sogenannte "Selbstabschiebung" ein -- die Lebensbedingungen für illegale Einwanderer sollen so unfreundlich gestaltet werden, dass sie freiwillig in ihre Herkunftsländer zurückkehren. Der immer wieder als Vizepräsidentschaftskandidat gehandelte Senator Marco Rubio würde Romneys Chancen unter Latinos nicht merklich steigern -- mit der Ausnahme Florida. Hier sind viele Latinos so wie Rubio kubanischer Abstammung und politisch konservativ.
Neben Rubio wird auch Condoleezza Rice als mögliche Vize genannt. Inwieweit kann die Wahl eines Vizepräsidenten-Kandidaten Romneys Kampagne Schwung verschaffen?
Henriette Rytz: Es ist umstritten, wie stark der zweite Mann oder die zweite Frau auf dem "Ticket" tatsächlich das Ergebnis von Präsidentschaftswahlen beeinflusst. Es könnte sich aber möglicherweise positiv auswirken, wenn Romney Bobby Jindal, den Gouverneur von Louisiana, mit ins Boot holen würde. Jindal ist indischer Abstammung und sehr konservativ, böte also eine gute Schnittmenge, um ethnische Minderheiten und Tea Party-Anhänger gleichermaßen anzusprechen.
Gegen den Blockadekurs im Kongress rührt sich innerparteilicher Widerstand. Droht den Republikanern eine Spaltung?
Henriette Rytz: Die aktuellen Blockaden im Kongress sind auf die starke Polarisierung des Parlaments zurückzuführen. Die Parteien bewegen sich immer mehr auseinander. In der republikanischen Partei wird der Rechtsruck derzeit vor allem von der Tea Party getragen, die staatliche Intervention weitgehend ablehnt. Das lähmt den Kongress, was das Regieren deutlich erschwert. Dies schürt den Unmut auch im republikanischen Parteiestablishment, das kaum noch Gestaltungspielraum erkennt. So kündigte Olympia Snowe, Senatorin aus Maine, ihren Rückzug aus der Politik an, weil sich unter diesen Umständen keine Politik machen ließe. Derzeit wird der Konflikt wegen des Wahlkampfes aber nicht offen ausgetragen. Ich schätze, dass der Einfluss der Tea Party auf die US-Politik mittelfristig sinken wird. Die Zustimmungsrate für den Kongress liegt seit einem Jahr bei unter 20 Prozent. Dies zeigt, dass die Bürger ein Parlament wollen, das seinem Auftrag gerecht wird und nicht nur blo"ckiert. Und angesichts der Wirtschaftskrise in den USA ist gerade jetzt politisches Handeln dringend notwendig. Hätte Ronald Reagan bei den Republikanern noch eine Chance, nominiert zu werden? Henriette Rytz: Er hätte es deutlich schwerer als in den achtziger Jahren, weil sogar er, der heute als konservative Ikone gilt, moderater war als viele der heutigen Republikaner. So hat auch Reagan als Präsident die Steuern erhöht. Heute haben sich dagegen fast alle Republikaner im Kongress schriftlich dazu verpflichtet, keinerlei Steuererhöhungen zuzustimmen. Was hätte Europa von einem Präsidenten Romney zu erwarten, der derzeit gegen ein vermeintlich durch und durch sozialistisches Europa wettert? Henriette Rytz: Bislang hat Romney noch keine Vision einer Europa-Politik formuliert. Seine bisweilen heftige Kritik an Europa dient vor allem dem Stimmenfang im Tea Party-Lager. Denn deren weitgehende Ablehnung staatlicher Intervention steht in deutlichem Kontrast etwa zur sozialen Marktwirtschaft in Deutschland. Die Extrempositionen, die Präsidentschaftskandidaten im Wahlkampf beziehen, verlassen sie im Amt allerdings oft wieder und rücken in die Mitte zurück. Dies gilt insbesondere für die Außenpolitik. Zu erwarten wäre daher, wie schon unter Oba-ma, eine pragmatische Partnerschaft mit Europa. Die transatlantischen Beziehungen sind heute weniger von Emotionen geprägt als zu Zeiten des Kalten Krieges, sie sind nüchterner geworden. Das Verhältnis zwischen den USA und Europa fußt aber nach wie vor auf einem großen Grundvertrauen und einem gemeinsamen Wertefundament. Europa und die USA werden auch künftig eng zusammen arbeiten.
Romney zeichnet im Wahlkampf das Bild eines starken, stolzen, übermächtigen Amerikas. Wie verfänglich sind solch realitätsfernen Träume vergehender Größe?
Henriette Rytz: Der Aufstieg Chinas bereitet vielen Amerikanern Sorge. Einer Umfrage zufolge glaubt fast die Hälfte der befragten Amerikaner, dass China bereits die USA als Supermacht überholt habe oder dies bald tun werde. Auf diese Stimmung reagiert Romney mit seiner Ankündigung, an seinem ersten Tag im Amt China offiziell als Währungsmanipulator zu bezeichnen. Dies würde das bilaterale Verhältnis empfindlich stören. Allerdings glaube ich, dass die großen inneren Probleme, vor denen die USA stehen, Romney eher im Weg stehen würden als der Aufstieg anderer Staaten. Die USA müssen einen Ausweg aus der Schuldenkrise finden, ihr Sozialsystem reformieren und die oft marode Infrastruktur modernisieren.
Bergen diese inneren Widersprüche nicht die Gefahr einer Militarisierung der US-Außenpolitik unter Romney, wenn dieser feststellt, dass dies das einzige Feld ist, in dem die USA noch unangefochten führen?
Henriette Rytz: Die USA haben mit einem großen Haushaltsdefizit zu kämpfen, weshalb nun auch Kürzungen im Verteidigungsetat anstehen. Allerdings haben sich die US-Verteidigungsausgaben in den letzten zehn Jahren fast verdoppelt. Daher können sowohl die bereits beschlossenen als auch die noch in der Diskussion befindlichen Kürzungen durch den Abzug aus Afghanistan und Irak zumindest teilweise gegenfinanziert werden. Auch bei weitreichenden Kürzungen wird die USA die stärkste Militärmacht der Welt bleiben. Romneys Ankündigung, als Präsident die US-Militärausgaben heraufzusetzen, ist also vor allem Wahlkampftaktik. Wie viel außenpolitischen Handlungsspielraum Romney als Präsident tatsächlich haben würde, hängt auch davon ab, ob die Republikaner ihre Mehrheit im Repräsentantenhaus halten und im Senat eine Mehrheit erringen können, mit der das Blockadeinstrument des filibuster, des Dauerredens, durchbrochen werden kann. Eine solche Mehrheit scheint momentan aber unwahrscheinlich.
Das Interview führte Joachim Zießler
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