Westfalen-Blatt: Das WESTFALEN-BLATT (Bielefeld) zum Lissabonner Vertrag:
Bielefeld (ots)
Ein Querkopf aus Bayern und die Bundestags-Linke als Sieger - das konnte und wollte der politische Führungszirkel in Berlin natürlich so nicht stehen lassen. Deshalb erklärten sich gestern fast alle Politiker als Gewinner - wie nach jeder Wahl, bei der kein Parteichef zugeben will, dass er gerade massiv verloren hat. Das Urteil von Karlsruhe ist klar: Der Vertrag von Lissabon ist mit dem Grundgesetz vereinbar. Das Aber lässt jedoch aufhorchen. Bei aller Europa-Einheits-Euphorie weist das Gericht Brüsseler Machtansprüche in die Schranken. Für Strafrecht, Polizei und Militär, Steuer und Sozialabgaben, Familienrecht und Religion müssen die Nationalstaaten zuständig bleiben. So deutlich war das bislang selten zu hören. Europa ist noch nicht so weit, dass allein Brüssel Soldaten in gefährliche Auslandseinsätze schicken dürfte. Eine weitere Auswirkung des Urteils: Keine Bundesregierung kann klammheimlich Befugnisse an Europa abgeben. Das wird ein demokratischer Wächterrat zu verhindern wissen. Bundestag und Bundesrat entscheiden künftig mit, in jedem Einzelfall neu. Alle Macht nach Europa und der Souverän - das Volk - schaut tatenlos zu: Genau das soll mit dem Urteil verhindert werden. Mehr noch: Die Verfassungsrichter wollen aktiv darüber wachen, dass die Europäische Union nicht ihre Kompetenzen überschreitet. Verfassungsrichter Andreas Voßkuhle sprach in diesem Zusammenhang von einem »unantastbaren Kerngehalt« des Grundgesetzes. Die Parlamentarier in Berlin müssen sich also künftig noch mehr um Europa kümmern. Dann ist aber auch Schluss sein mit den Gejammer, wieder einmal von Brüsseler Gesetzen überrollt worden zu sein. Und die sind ja nicht immer schlecht. Beispiele gefällig? Grenzüberschreitende Handy-Gespräche werden für die Verbraucher billiger und das System der Agrarsubventionen wird transparenter. Zugleich machten die Richter deutlich, dass das Parlament in Straßburg und Brüssel keinen Ausgleich für eine fehlende Legitimation bietet. Die Richter sprechen hier von einem »unauflöslichen Demokratiedefizit«. Wenn dieses Urteil drei Wochen früher gekommen wäre, hätte das noch schlimmere Auswirkungen auf die Beteiligung an der Europawahl haben können. Nicht länger können sich Europa-Skeptiker vor einer Entscheidung drücken und dabei auf die ungeklärte Rechtslage in Deutschland verweisen. Nun wissen die Iren bei der Volksabstimmung im Oktober, dass Europa auf ihr Ja wartet. Denn die EU ist Dublin weit entgegen gekommen. Und in Prag gehen Vaclav Klaus ebenso wie seinem Kollegen in Warschau, Lech Kaczynski, die Ausreden aus. Noch in diesem Jahr müssen sie den Vertrag von Lissabon unterschreiben.
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