Westfalen-Blatt: das WESTFALEN-BLATT (Bielefeld) zu Seehofers Zitat
Bielefeld (ots)
So langsam wird's zum Ritual: Wenn Horst Seehofer spricht, ist der politische Krawall nicht weit. Natürlich hat der Bundesinnenminister Unrecht, wenn er »die Migrationsfrage die Mutter aller politischen Probleme in diesem Land« nennt. Es ist nicht so, dass alle Probleme, die es aktuell in Deutschland gibt, ihren Ursprung, ja ihre Ursache in der Flüchtlingspolitik haben.
Genau genommen widerlegt sich Seehofer sogar selbst, wenn er im gleichen Interview sagt, dass das Erstarken der AfD, die Spaltung des Landes und der mangelnde Rückhalt der Volksparteien in der Gesellschaft »nicht nur mit der Migrationspolitik« zu tun hätten. Nun ist die Empörung mal wieder so groß wie sie erwartbar war. Womöglich war sie sogar kalkuliert. Das Muster ist stets das Gleiche. Der unangemessenen Zuspitzung der einen Seite folgt die überzogene Reaktion der anderen. Für Differenzierung fehlt jeder Platz. Lautstarke Agitation ersetzt die effektive Aktion. Das ist keine Politik, das ist die Simulation von Politik. Es tobt eine Schlacht der Worte, und das Ziel ist klar: Wer die Sprache bestimmt, beherrscht das Denken. Wir kennen das schon: Was genau ist wann eine Hetzjagd? Was ein Mob? Welches Problem zieht welche Probleme nach sich? Und wann hat das alles eigentlich angefangen?
Doch führen diese Debatten zu nichts. Die Ereignisse von Chemnitz waren auch ohne eine einzige Hetzjagd beschämend genug. Und wer bitte wollte ernsthaft leugnen, dass die Migration das Thema ist, das seit 2015 wie kein anderes die Debatten bestimmt - auch wenn das gewiss nicht in jedem Fall angemessen sein mag.
Man wünschte sich nur, dass die Politik allgemein, insbesondere aber die regierenden Parteien CDU und CSU die Hälfte der Kraft, die sie in Rechthaberei und Wortgefechte stecken, in die Lösung der Probleme steckten. Denn davon gibt es offenkundig immer noch mehr als genug, was niemand, dem weiter an Humanismus und Mitmenschlichkeit gelegen ist, wird bestreiten können.
Gerade Seehofer muss sich Kritik gefallen lassen. Angetreten mit dem Anspruch, Schlampigkeiten und Kompetenzgerangel zwischen den Behörden den Garaus zu machen, fällt die Bilanz des CSU-Innenministers bescheiden aus. Versprochen hat Seehofer viel, passiert ist wenig. Jüngst musste er nach der Chemnitzer Bluttat einräumen, dass einer der Verdächtigen längst nach Bulgarien hätte abgeschoben sein sollen. Zugleich müssen sich all jene fragen lassen, die Seehofer lieber heute als morgen entlassen sähen, wie sie selbst die unübersehbaren Schwierigkeiten in den Griff zu bekommen gedenken. Auch hier gilt: Wortklauberei ist noch keine Politik. Und wenn bei vielen Deutsche die Angst vor einem Versagen in der Flüchtlingspolitik besonders groß ist, dann sollte das Weckruf genug sein. Für alle!
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