Schwäbische Zeitung: Das Amt verlangt Ehrlichkeit - Leitartikel
Leutkirch (ots)
Herr Wulff kann sich nicht beklagen. Bis weit in die gegnerischen Parteien hinein haben namhafte Politiker dem Bundespräsidenten Brücken gebaut, um ihm eine geordnete Bereinigung der Kredit-Affäre zu ermöglichen - in einer Form, die das Amt nicht beschädigt und dem Menschen Wulff die Chance lässt, sein Gesicht zu wahren.
Nicht nur bedauerlich, sondern ausgesprochen ärgerlich ist das, was das Staatsoberhaupt aus der Chance bisher macht. Der Präsident weicht der immer offenkundigeren Wahrheit aus. Er bemüht Rechtsanwälte, und er flieht in Formulierungen, die den Anschein erwecken, als ginge es um irgendeinen Dritten - nicht um jenen Christian Wulff, der das höchste Staatsamt bekleidet und der Vorbild sein muss.
Nicht der Kredit an sich ist das wesentliche Ärgernis. Wesentlich ist der ganz und gar gewöhnliche Umgang mit der ausgesprochen peinlichen Situation. Die Menschen wollen zwar einen Bürger-Präsidenten, aber keinen, bei dem es offenkundig sehr menschelt. Zu sehr, wie es jeden Tag offensichtlicher wird. Ausflüchte im Stil eines ertappten Steuersünders und seiner Advokaten passen nicht zum Amt, das eben nicht gewöhnlich ist.
Wenn die ganze Wahrheit nur scheibchenweise ans Licht kommt, geht es nicht mehr um juristische Spitzfindigkeiten, sondern um den Gesamteindruck, der im konkreten Fall dem Betroffenen bisher nicht zur Ehre gereicht. Der Bürger kennt das von anderen Politikern, aber die Frage ist, ob er ausgerechnet einem Bundespräsidenten solch ein Taktieren durchgehen lässt.
Im Raum steht nicht die Frage nach Paragrafen, sondern die nach der Vorbildfunktion. Wasser predigen und Wein trinken, sorgt für jene Verdrossenheit, die Parteiendemokratie im Kern beschädigt, weil diese im Lichte solcher Vorgänge immer wieder wie ein Selbstbedienungladen der politischen Klasse erscheint. Ein Rücktritt könnte einen solchen Eindruck kaum widerlegen. Gefordert ist Ehrlichkeit. Und diese gefälligst nicht auf Raten.
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