Schwäbische Zeitung: Astrologische Forscher - Leitartikel
Leutkirch (ots)
Die Zunft der Wahrsager ist möglicherweise so alt wie die Menschheit: In der Antike gab es Orakel-Spezialisten, Auguren, eine Kassandra, Sterndeuter und viele artverwandte Weise. Sie bezogen ihre vorausschauenden Erkenntnisse etwa aus der Leber von Opfertieren, aus dem Vogelflug, aus wie auch immer gearteter göttlicher Eingebung. Uralte Zunft - lohnendes Handwerk. Denn die Sehnsucht der Zeitgenossen, einen wenigstens winzigen Blick in die Zukunft werfen zu dürfen, ist offensichtlich urmenschlich. Und sie ist bis heute ungebrochen und so stark, dass die Vernunft oft keine Chance hat gegen astrologischen Unsinn. Hochkonjunktur haben die schrägen Propheten traditionell zum Jahreswechsel: Da wird geweissagt auf Teufel komm raus.
Seit ein paar Jahren verdichtet sich aber der Eindruck, es habe sich der einst höchst ehrenwerte, durch und durch rationale Berufsstand der Wirtschaftsforscher auf Sterndeuter-Niveau eingependelt. Eine Studie der Uni Köln hat ergeben, dass die Bundesbürger den Wirtschaftswissenschaftlern kaum mehr Kompetenz zubilligen als eben den Astrologen. Das ist einerseits ein betrüblicher Befund, andererseits ist er nicht vom Himmel gefallen. Die Herrschaften haben in den vergangenen Jahren Diverses prognostiziert - vergessen haben sie aber beispielsweise die Finanzkrise. Der Nobelpreisträger Joseph Stiglitz hat dieses Jahr bei der Tagung in Lindau seinen Kollegen mit einer gewissen Süffisanz vorgehalten, dass in den Standard-Rechenmodellen der Notenbanken keine Banken existierten. Anders: Die Modellwelt der Wirtschaftsforscher hat den Finanzsektor bisher einfach ausgeblendet. Man darf also durchaus mit Vorsicht und Gelassenheit zur Kenntnis nehmen, was da angeblich im neuen Jahr so dräut.
Geradezu handfest und solide kommt demgegenüber die Stimmungsumfrage aus Allensbach daher. Immerhin 49 Prozent der Deutschen schauen demnach eher erwartungsfroh ins Jahr 2012. Denen wollen wir uns einfach mal zwanglos anschließen.
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