Schwäbische Zeitung: "Russland darf nicht länger zusehen" - Interview mit Andreas Schockenhoff
Leutkirch (ots)
Berlin - "Russland darf die Verbrechen gegen die Menschlichkeit in Syrien nicht länger dulden", sagt der CDU-Fraktionsvize und Russland-Beauftragte der Bundesregierung, Andreas Schockenhoff im Interview der Schwäbischen Zeitung. Als Grund für die russische Duldung des syrischen Bürgerkriegs sieht Schockenhoff die Angst Russlands vor dem Verlust seines Einflusses in der Region. "Deshalb müssen wir Moskau verdeutlichen, dass auch in einer Zeit nach Assad Russland eine gewaltige Mitsprache behält - etwa im Rahmen einer ständigen Kontaktgruppe, wie sie auch für den Nahost-Friedensprozess existiert."
Das Interview im Wortlaut:
Frage: In Syrien werden täglich Menschen umgebracht, doch China und Russland verweigern sich jeder Verurteilung durch die UN. Der grüne Europa-Politiker Werner Schulz wirft Putin Beihilfe zum Mord vor. Zu Recht?
Schockenhoff: So kann man es nicht formulieren. Aber man kann Russland eine zynische Passivität vorwerfen. Russland denkt in überkommenen Kategorien des Völkerrechts, wie wir sie aus dem Kalten Krieg kennen. Russland ist an der Wahrung des Status quo und an der Nichteinmischung interessiert. Russland meint, dass eine Weiterentwicklung des Völkerrechts hin zu mehr Verantwortung, auch Völker zu schützen, von den Amerikanern nur in ihrem eigenen Interesse genutzt wird.
Frage: Welches besondere Interesse hat Russland denn am Regime in Syrien?
Sckockenhoff: Es gibt noch laufende Rüstungsaufträge in Höhe von 3,5 Milliarden US-Dollar. Zudem hat Russland seine einzige Marinebasis im Mittelmeer in Tartus, die von großer strategischer Bedeutung für Moskau ist. Das System Assad war für Russland immer ein verlässlicher Verbündeter. Außerdem fürchtet Russland, dass mit einem Regimewechsel in dieser sensiblen Region der Einfluss der Amerikaner wachsen könnte. Russland denkt in den alten Kategorien einer Balance. Russland hat den Anspruch, Weltmacht zu sein - und hat als Instrumente das Veto im Weltsicherheitsrat, die Atombombe und Öl und Gas.
Frage: Schadet sich Putin mit der Stützung des syrischen Regimes nicht selbst?
Schockenhoff: Russland schätzt die Lage falsch ein. Das Land fällt zurück, Russland hat einen erheblichen Abfluss von Kapital und auch von qualifizierten Menschen. Weder innenpolitisch noch in der Außenpolitik ist Russland ein attraktives Modell, denn das Land trägt zur Gestaltung von Transformationsprozessen überhaupt nichts bei.
Frage: Kann die deutsche Bundesregierung überhaupt etwas tun, um die Haltung Putins zu ändern?
Schockenhoff: Wir müssen immer wieder klar machen, dass wir kein schwaches Russland wollen, sondern ein modernes, rechtsstaatliches und ökonomisch starkes Russland.
Frage: Ist Russland momentan mehr auf Konfrontation gebürstet als vor zehn Jahren?
Schockenhoff: Vor zehn Jahren hatte Russland ein chaotisches Jahrzehnt hinter sich. Putin hat mit der Bevölkerung eine Art stilles Abkommen geschlossen, dass er für Stabilität und die Wahrung der ökonomischen Lebensbedingungen sorgt und die Bevölkerung sich im Gegenzug nicht in die Politik einmischt. Das zieht nicht mehr. In Russland ist eine Mittelschicht entstanden, die pragmatische Veränderungen will. Denen mit einer Verschärfung des Versammlungsrechts zu entgegnen, ist gegen die Interessen Russlands selbst. Wir wollen Russland als starken Partner, der zur Lösung globaler Konflikte beitragen kann.
Frage: Da sind wir wieder bei Syrien: Halten Sie es denn für denkbar, dass Russland hilft, indem es zum Beispiel hinter den Kulissen Assad Asyl anbietet?
Schockenhoff: Wir müssen auf ein Einlenken Russlands setzen. Das Assad-Regime fällt in Zeitlupe und begeht Kriegsverbrechen am syrischen Volk. Diese Verbrechen gegen die Menschlichkeit dürfen von Russland und China nicht länger geduldet werden. Der UN-Sicherheitsrat muss endlich Zwangsmaßnahmen gegen das Assad-Regime ergreifen. Die internationale Isolation des syrischen Regimes ist zwingend notwendig, um Assad zum Abtreten zu bewegen und einen immer brutaleren Bürgerkrieg sowie eine militärische Eskalation zu verhindern.
Frage: Was könnte die Weltgemeinschaft Russland konkret anbieten, wenn es hilft?
Schockenhoff: Russland will auf keinen Fall seinen Einfluss in der Region verlieren. Das Festhalten an Assad könnte jedoch im Falle einer Regierungsübernahme durch die Opposition gerade dazu führen, dass diese Befürchtungen sich bewahrheiten und sich die Beziehungen zu Moskau spürbar abkühlen. Deshalb müssen wir Moskau verdeutlichen, dass auch in einer Zeit nach Assad Russland eine gewichtige Mitsprache behält - etwa im Rahmen einer ständigen Kontaktgruppe, wie sie auch für den Nahost-Friedensprozess existiert.
Frage: Pflegen Sie eigentlich einen Austausch mit russischen Kollegen?
Schockenhoff: Seit der Duma-Wahl und der Präsidentschaftswahl ist der Kontakt nicht mehr aufgenommen worden. Das muss sich noch entwickeln. Bisher sind die russischen Kollegen noch zu sehr mit inneren Poblemen befasst.
Frage: Das hört sich nicht gut an für eine Lösung in Syrien: Kann sich denn da schnell etwas ändern?
Schockenhoff: Nur dann, wenn Assad verschwindet. Eine friedliche Lösung kann es nur ohne Assad geben. Und es kann nur eine Lösung geben, die unter einem internationalen Monitoring und internationaler Mediation steht. Die unterschiedlichen Kräfte in Syrien sind selbst nicht in der Lage, einen solchen Prozess einzuleiten. Der Annan-Plan ist deshalb weiterhin die beste Option, es mangelt nur an seiner Durchsetzung.
Andreas Schockenhoff ist Unions-Fraktionsvize für Außenpolitik und Russland-Beauftragter der Bundesregierung.
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