Schwäbische Zeitung: Uns geht es ziemlich gut - Leitartikel
Leutkirch (ots)
Das haben wir doch alle nicht gemocht, wenn Oma und Opa missmutig auf den Kinderteller mit Essensresten schauten und von Zeiten erzählten, als in Europa noch Hunger herrschte.
Heute verdrehen Kinder zu Recht die Augen, wenn ihnen gesagt wird, in Afrika oder in Rumänien gäbe es Gleichaltrige, die froh wären, wenn sie eine Schulbildung wie in Deutschland bekämen. Vergleiche, die ergeben, dass es anderen schlechter geht, sind unproduktiv. Trotzdem hilft der Blick in die Nachbarschaft, um die Ängste vor der Zukunft in Deutschland als wehleidiges Gejammer auf hohem Niveau zu erkennen.
Wir erleben in Deutschland, besonders in Baden-Württemberg und Bayern, eine Phase des Wohlstands. Natürlich liegt manches im Argen, die Kanzlerin versucht, Reformen an den Bürgern vorbei durchzupeitschen, manche Manager verdienen zu viel und die Mehrheit wird sich im Alter einschränken müssen.
Aber es ist auch eine sehr deutsche Eigenart, zu viel Nabelschau und zu wenig Rundumschau zu betreiben. Italien ist in der Krise, Frankreich stagniert. Die Jugendarbeitslosigkeit in Spanien und in Italien gefährdet den gesellschaftlichen Zusammenhalt dieser Länder. Die meisten von uns leben in relativem Wohlstand, wir essen, wir gehen ins Kino, wir haben ein Dach über dem Kopf, wir wissen, dass ein Krankenwagen kommt, wenn wir bei der Apfelernte von der Leiter fallen.
Was uns fehlt, sind Gelassenheit und Demut. Wir hyperventilieren wie aufgeregte Teenager, wenn das Wachstum sich verlangsamt, ein Politiker keine Antwort weiß oder ein Bundeswehrstandort geschlossen wird. Dabei lehrt uns die Erfahrung aus über 60 Jahren Frieden, dass wir Meister sind in der Bewältigung von Krisen: wie dem Wiederaufbau nach dem Krieg. Die Vergegenwärtigung der Geschichte und des Erreichten können helfen, neue Herausforderungen anzunehmen.
Uns geht es so gut wie nie. Eine Garantie, dass das so bleibt, gibt es nicht. Aber es gibt die Gewissheit, dass Gelassenheit und Demut noch nie Stillstand bedeutet haben.
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