Schwäbische Zeitung: Von Rechten und Pflichten - Leitartikel
Ravensburg (ots)
Herzlichen Glückwunsch an etwa 216.000 junge Männer und Frauen in Baden-Württemberg. So viele Wahlberechtigte hat das Land am Donnerstag dazugewonnen, weil der Landtag das aktive Wahlalter bei Kommunalwahlen auf 16 Jahre gesenkt hat - als zehntes der sechzehn Bundesländer. Hoffentlich nehmen möglichst viele von ihnen ihr Recht wahr, zuerst in Singen und in Aalen, wo die nächsten Wahlen anstehen. Die Argumente für die Absenkung des Wahlalters überzeugen aber nicht wirklich. Das Wahlrecht ist - das darf ruhig einmal pathetisch klingen - die Grundlage der Demokratie. Ein wichtiges Recht, das mit Pflichten einhergeht. Nun gibt der Gesetzgeber dieses Recht an junge Menschen, denen er noch nicht einmal zutraut, eigenständig einen Handyvertrag abschließen zu können. Dafür ist nämlich bis zum 18. Geburtstag die Einwilligung der Eltern nötig. Dabei sollte man meinen, dass eine Mitbestimmung über die Geschicke des Gemeinwesens eine mindestens so hohe Reife voraussetzt wie die volle Geschäftsfähigkeit. Fragwürdig ist zudem, warum ein Jugendlicher zwar in der Lage sein soll, über die Angelegenheiten der 600.000-Einwohner-Metropole Stuttgart mitzubestimmen, nicht aber über jene des Landes. Wären die Befürworter einer Absenkung des Wahlalters konsequent, müssten sie erstens ein generelles Wahlalter 16 auf allen Ebenen - Stadt, Land, Bund, Europa - fordern, und zweitens den jungen Frauen und Männern gleichzeitig das passive Wahlrecht zugestehen. Ohne die Möglichkeit gewählt zu werden, bekommen die 16- bis 18-Jährigen nur ein Wahlrecht zweiter Klasse. Als Hebel gegen Politikverdrossenheit taugt die Absenkung des Wahlalters nicht. Ohnehin ist es eine Unterstellung, die Unlust an der Politik sei unter Jugendlichen besonders hoch. Ebenso wie es eine Unterstellung ist, Kommunalpolitiker hätten Jugendlichen bislang zu wenig Gehör geschenkt. Sich einzubringen, das war bislang schon erwünscht. Doch es kostet Mühe, mehr als ein Gang zum Wahllokal.
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