Schwäbische Zeitung: Protestantische Aufgaben - Leitartikel
Ravensburg (ots)
Welch ein Fest dieser Kirchentag für die Protestanten ist: Da feiern mehr als 100000 Menschen ihren Glauben und suchen ein evangelisches Gemeinschaftsgefühl. Und das bei bestem Wetter in Stuttgart, sodass manche der Kirchentags-Organisatoren schon kühn behaupten, Petrus müsse Protestant gewesen sein.
Stuttgart ist noch bis zum Sonntag voller Menschen, die alle einen roten Schal tragen, auf dem der Vers aus dem Psalm 90 - "damit wir klug werden" - steht. Sie pilgern zum Neckarpark, vorbei an den Ständen der Zeugen Jehovas, die im Windschatten des protestantischen Großereignisses adrett gebügelt zu missionieren versuchen. Die Gläubigen nehmen engagiert an Bibelarbeiten mit politischer Prominenz von Bundespräsident Joachim Gauck über Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) bis zu Ex-Bundespräsident Christian Wulff (CDU) teil.
Manche Kirchenvertreter wie Margot Käßmann postulieren Maximalforderungen an die Politik, die man nur dann so selbstgewiss proklamieren kann, wenn man selbst keine politische Verantwortung trägt. Geredet wird auf über 2000 Veranstaltungen über einen Schuldenschnitt, über Transsexualität, die Homo-Ehe, über den Umgang mit der Schöpfung, über Nachhaltigkeit, Ökologie und Flüchtlinge.
Doch neben all dem Volksfest und Prominentegucken zeigt sich auch, dass die evangelische Kirche sich ihrer Rolle in der Gesellschaft nicht mehr so sicher sein kann wie noch vor 20 Jahren. Zwar laufen ihr die Mitglieder nicht in Scharen davon, doch beim letzten Kirchentag in Hamburg waren noch 20000 Teilnehmer mehr dabei. Neben der in Stuttgart spürbaren Fröhlichkeit und dem Gemeinschaftsgefühl geht es um die Frage, wie diese Kirche sich behaupten will.
In einer zunehmend säkularisierten Gesellschaft wollen viele ernstzunehmende Kirchenleute eine politische Position einnehmen. Nur so, und mit dem Angebot zur Ruhe und Einkehr, wird diese Kirche in noch einmal 20 Jahren eine gesellschaftliche Rolle spielen können.
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