Schwäbische Zeitung: Merkels langer Krieg - Leitartikel zum Krieg in Syrien
Ravensburg (ots)
Seit fünf Jahren spielt sich, nur drei Flugstunden entfernt von hier, eine der Menschheitskatastrophen der Gegenwart ab. Staaten wie der Irak und Syrien zerfallen, Türken und Russen, Islamisten, Saudis und Iraner zündeln, 200000 Zivilisten sind zu Tode gekommen, Millionen Syrer auf der Flucht. Doch in Berlin lernen viele erst jetzt Begriffe wie Islamischer Staat, Sunniten, Schiiten, Daesh kennen. Und sie merken erst jetzt, dass all das sehr nahe und sehr gefährlich ist.
Doch verglichen mit früheren deutschen Diskussionen um bewaffnete Einsätze im Ausland, in Afghanistan, im Irak, in Libyen, geht es jetzt atemberaubend schnell mit den Entscheidungen, sollte das Bundeskabinett denn heute beschließen, 1200 Soldaten bei der Jagd auf die Terroristen des Islamischen Staats helfen zu lassen. Zwar nicht mit der Waffe in der Hand, sondern mittels Aufklärungsflügen, aber immerhin! Wenn die deutsche Beteiligung am Krieg in Syrien klug vorbereitet ist, würde eine Forderung von Bundespräsident Joachim Gauck aus seiner berühmten Münchner Rede umgesetzt: Deutschland möge bei Konflikten nicht mehr abseits stehen.
Aber ist all das klug vorbereitet? Vieles aus Berlin wirkt kopflos und überhastet: Man verständigt sich mit dem türkischen Präsidenten, der Kurden jagen lässt und die Meinungsfreiheit unterdrückt, nur weil es ins Konzept passt. Der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses, Norbert Röttgen, spricht über irgendwelche "sunnitischen Kräfte", die man unterstützen wolle, und redet sich um Kopf und Kragen.
Bundeskanzlerin Angela Merkel weiß, wie unbeliebt Militäreinsätze im Lande sind. Deutsche Afghanistan-Veteranen haben erlebt, wie wenig sich die Gesellschaft für ihren Kampf gegen den Terror interessiert oder für ihre seelischen Blessuren. Afghanistan hat auch gezeigt, dass es nicht ausreicht, Alliierte nur symbolisch zu unterstützen.
Dieser Krieg wird ein langer werden.
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