Schwäbische Zeitung: Leitartikel zur Einheit - Auf das Richtige stolz sein
Ravensburg (ots)
Natürlich gibt es Gründe, warum sich manche Menschen als Verlierer der deutschen Einheit sehen. Sie waren nicht eingestellt auf den Turbo-Kapitalismus, mit dem sie nach der Wiedervereinigung konfrontiert wurden, sie haben den Ausverkauf des Ostens erlebt, das "Plattmachen" ihrer Betriebe und damit ein Stück weit auch ihrer eigenen Biografie.
Diese persönlichen Verletzungen nach dem 3. Oktober 1990 wirken nach - und trüben die Erfolgsgeschichte der deutschen Einheit bis heute. Darüber wird oft vergessen, wie die Verhältnisse in Deutschland vor dem Fall der Mauer waren. Die allgegenwärtige Bedrohung durch den Kalten Krieg, die Trennung von Familien und Verwandten im geteilten Deutschland, die Angst vor einem Atomkrieg, falls irgendjemand in Moskau oder Washington die Nerven verliert. Dass dieser Ost-West-Konflikt Anfang der 1990er-Jahre ein friedliches Ende nahm, ist Menschen zu verdanken, die zur richtigen Zeit den Mut hatten, sich für Veränderungen einzusetzen.
Veränderung - inzwischen wird dieses Wort von vielen allerdings als Bedrohung empfunden. Die Ängste sind vielfältig - vor dem Fremden, anderen Religionen, Wohlstandsverlust, Kriminalität oder schlicht vor Merkels Flüchtlingspolitik. Dazu kommt, gerade im Osten, die Wahrnehmung, abgehängt zu sein in einem System, das jahrzehntelang eine Glücksverheißung war. Entsprechend emotional ist die Gefühlslage jener Frustrierten. Denen, die Politiker als "Volksverräter" beschimpfen, geht es aber nicht um eine sachliche Auseinandersetzung innerhalb demokratischer Spielregeln. Sie nutzen die demokratische Ordnung, um sich von ihr zu verabschieden.
Es braucht aber keine rosarote Brille, um zu sehen, dass die Einheit ein Erfolg ist. Etwas, auf das die Menschen in Deutschland stolz sein können, weil sie es geschafft haben, dass da etwas zusammenwächst. Dass Narben nach wie vor sichtbar sind, ist kein Fehler. Helfen sie doch, die Erinnerung an eine Vergangenheit zu bewahren, die sehr viel schlechter war als das, was jetzt ist.
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