Schwäbische Zeitung: Augenmaß der Tarifpartner nötig - Leitartikel zu Tarifverhandlungen
Ravensburg (ots)
Die digitale Arbeitswelt verändert die Rahmenbedingungen für geregelte Arbeitszeiten von Grund auf. Wenn Karosseriepressen per Ferndiagnose gewartet werden, wenn Maschinenführer Produktionsbänder mit dem iPad vom Baggersee aus bedienen können, zerbröselt das Konzept des klassischen Sieben- beziehungsweise Acht-Stunden-Tages. Die Arbeitgeber wollen die neuen Möglichkeiten für sich nutzen und fordern die Akzeptanz effizienterer Organisationsmodelle.
Vor diesem Hintergrund ist die Forderung der IG Metall, die Bedürfnisse der Arbeitnehmer ebenfalls zu berücksichtigen, völlig legitim. Tatsächlich fordert die Gewerkschaft nur ein, was Unternehmen von ihren Mitarbeitern schon lange fordern: mehr Flexibilität. Klar ist aber auch, dass die Forderungen nicht billig sind. Wenn der Arbeitgeberverband Südwestmetall richtig liegt und 60 Prozent der Mitarbeiter ihre Arbeit reduzieren würden und die Arbeitgeber 50 Prozent der nicht geleisteten Arbeit trotzdem entlohnen müssen, summiert sich die Lohnforderung der IG Metall einschließlich der Kosten für zusätzliche Arbeitskräfte und der geforderten sechs Prozent Lohnerhöhung auf zwölf Prozent. Das ist viel - auch angesichts sehr gut laufender Geschäfte auf der einen und der Lohnzurückhaltung der Gewerkschaften in den vergangenen Jahren auf der anderen Seite.
Hinzu kommt, dass die Unternehmen der deutschen Schlüsselindustrien Auto und Maschinenbau schon jetzt Probleme haben, qualifizierte Mitarbeiter zu finden. Eine optionale 28-Stunden-Woche bei Teillohnausgleich würde das Problem verschärfen. Denn eine reduzierte Arbeitszeit hätte noch mehr unerledigte Bestellungen zur Folge. Ganz abgesehen von der Gefahr, dass Firmen versucht sein könnten, ins Ausland zu gehen oder aus dem Flächentarifvertrag auszusteigen.
In den Gesprächen müssen beide Seiten mit Augenmaß um einen Kompromiss ringen. Beharrt die IG Metall siegesgewiss auf ihren Maximalforderungen, kommt es zu einem Arbeitskampf, der den Standort Deutschland beschädigt.
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