Bundesinnungsverband für Orthopädie-Technik
OTWorld 2024: Zukunft der Hilfsmittelversorgung von Fachkräftemangel geplagt
Dortmund, Leipzig (ots)
Voneinander lernen, miteinander diskutieren und feiern: Zum siebenten Mal hat die Jugend.Akademie TO des Bundesinnungsverbandes für Orthopädie-Technik (BIV-OT) den Fachkräftenachwuchs zum Welthighlight OTWorld nach Leipzig eingeladen. Rund 400 Auszubildende und Studierende aus allen Bereichen der Technischen Orthopädie (TO) nutzten am 16. und 17. Mai 2024 die Chance, neueste Entwicklungen, Konzepte und Produkte in Hilfsmittelversorgung und Orthopädie-Technik kennenzulernen sowie Impulse für ihre Karriere zu sammeln. Doch dies kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass etliche junge Talente nach der Ausbildung ihrem Fach den Rücken kehren. Die Mehrzahl der für eine aktuelle Branchenuntersuchung befragten Betriebe schätzte ein, dass die künftige Entwicklung der Fachkräftesituation die Hilfsmittelversorgung perspektivisch gefährde.
"Mit der Jugend.Akademie TO möchten wir dem massiven Fachkräftemangel entgegenwirken, unter dem unsere Branche leidet. Doch eine überbordende Bürokratie und eine wirtschaftlich nicht auskömmliche Kostenübernahme seitens der Krankenkassen machen unseren schönsten aller Berufe leider immer unattraktiver und bluten unser Fach aus", betont Lars Grun, Vorstandsmitglied und Vorsitzender des Berufsbildungsausschusses des BIV-OT. Laut der Branchenumfrage 2024 des Bündnisses "Wir versorgen Deutschland" (WvD), dem der BIV-OT angehört, gingen über 80 Prozent der teilnehmenden Betriebe von einer künftigen Verschlechterung der Fachkräftesituation auf dem Arbeitsmarkt aus. Rund 77 Prozent gaben an, dass die Hilfsmittelversorgung durch die Entwicklung der Fachkräftesituation aus ihrer Sicht perspektivisch gefährdet sei. "Das trifft in der Gesellschaft die Schwächsten: Menschen mit Behinderung und die chronisch bzw. multimorbid Erkrankten. Das ist besonders vor dem Hintergrund des demografischen Wandels fatal, denn wir müssen auch morgen eine flächendeckende und qualitätsbasierte Hilfsmittelversorgung sicherstellen. Nur so bleiben wir lange mobil und arbeitsfähig", so Grun.
Bürokratiebelastung schmälert Attraktivität
Rund 70 Prozent der Unternehmen gaben in der WvD-Branchenumfrage 2024 an, durchschnittlich mehr als 30 Prozent ihrer Zeit statt am Patienten für bürokratische Aufgaben aufzuwenden. Größter Bürokratietreiber sei demnach die Vielfalt der unterschiedlichen Verträge mit den gesetzlichen Krankenkassen, gefolgt von den unterschiedlichen Dokumentationspflichten gegenüber den Kostenträgern und der europäischen Medizinprodukteverordnung (Medical Device Regulation, MDR).
"Täglicher und wachsender 'Papierkrieg', mehr als 1000 verschiedene Verträge - unser eigentlicher Job verschwindet hinter der Bürokratie. Da ist es kein Wunder, dass wir unter einem Fachkräftemangel ächzen. Für eine identische Leistung, für ein und dasselbe Hilfsmittel, muss ich während der Versorgung zum Beispiel mindestens zehn unterschiedliche Listen mit Verrechnungssätzen von verschiedenen gesetzlichen Krankenkassen beachten. Dazu hat jede Kasse ihre eigene Vertragsformulare", berichtet Grun. Hinzu kämen unter anderem unterschiedliche Mehrwertsteuersätze, Bonpflicht oder auch die Pflicht zur eigenhändigen Unterschrift. "Ich muss beispielsweise den Patienten auf ausgedrucktem Papier unterschreiben lassen - und das Ganze dann wieder einscannen. Eine digitale Unterschrift ist nicht zulässig. Als Inhaber und Meister kümmere ich mich fast nur noch um Verwaltung. Zu dem, was ich eigentlich gelernt habe und liebe, habe ich kaum noch Zeit." Dazu komme eine wenig attraktive Vergütung: "Wir werden von den gesetzlichen Krankenkassen unter starken Preisdruck gesetzt."
Fachkräfte wandern ab
"Leider beobachten wir eine Abwanderung der jungen Gesellinnen und Gesellen der Orthopädie-Technik, die unserem Fach und damit der Hilfsmittelversorgung komplett den Rücken kehren und in völlig andere Branchen wechseln - ob in die Autoindustrie oder Holzverarbeitung, weil sie dort besser verdienen", so Grun. "Zudem ist in den künftigen Jahren der Renteneintritt der 'Babyboomer' zu erwarten - und die Betriebsübergaben gestalten sich immer schwieriger. Zu den Grundvoraussetzungen für eine gelingende Fachkräftesicherung gehört deshalb - neben einer aktiven Nachwuchsförderung wie mit der Jugend.Akademie TO - ebenfalls die Schaffung guter beruflicher Rahmenbedingungen. Beide Faktoren bedingen einander."
Informationen zur WvD-Branchenumfrage 2024 zu Bürokratiebelastung und Fachkräftemangel finden Sie hier.
Die Broschüre "Zahlen, Daten, Fakten 2023" unter anderem mit Statistiken zum Fachkräftemangel, herausgegeben vom Bündnis "Wir versorgen Deutschland" (WvD), finden Sie hier.
Die Vorschläge des Bündnisses "Wir versorgen Deutschland" zur Reform der Hilfsmittelversorgung - zum Beispiel zur Standardisierung und Entschlackung des überbordenden Vertragswesens und zur Digitalisierung - finden Sie hier.
Über die Jugend.Akademie TO
Die Jugend.Akademie TO ist eine Initiative des BIV-OT zur fachübergreifenden Nachwuchsförderung und bringt Auszubildende und Studierende zusammen. In Kooperation mit Fachleuten des BIV-OT wie der Abteilung für Berufsbildung, Digitalisierung und Forschung gestaltet das BIV-OT-Tochterunternehmen Confairmed GmbH - Gesellschaft für Congressmanagement das exklusive Programm dieser zweitägigen Veranstaltung, die jährlich ausgerichtet wird. Die Jugend.Akademie TO ist fester Bestandteil der OTWorld, der weltgrößten Veranstaltung zur Hilfsmittelversorgung. In den Jahren zwischen den OTWorld-Treffen wird die Jugend.Akademie TO im Rahmen wichtiger nationaler Kongresse ausgerichtet, zum Beispiel ergänzte sie im Oktober 2023 den Tag der Technischen Orthopädie (TTO) im Rahmen des Deutschen Kongresses für Orthopädie und Unfallchirurgie (DKOU) in Berlin.
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