Bundesinnungsverband für Orthopädie-Technik
Welt-Lymphödem-Tag am 6. März 2025: Wenn die falsche Strumpfwahl zur Gefahr wird
Welt-Lymphödem-Tag am 6. März 2025: Wenn die falsche Strumpfwahl zur Gefahr wird
Beim Vorbeigehen an einem Sanitätshaus zieht ein farbenfrohes Schaufenster die Blicke magisch an: leuchtendes Pink, sonniges Gelb, verspielte Muster. Bunte Kompressionsstrümpfe fallen ins Auge – doch ihre medizinische Bedeutung bleibt oft im Verborgenen. Gerade bei Lymphödemen kann eine falsche Versorgung schlimme Folgen haben. Zum Welt-Lymphödem-Tag am 6. März 2025 rückt eine oft unterschätzte Gefahr in den Fokus: die Unterversorgung durch mangelndes Wissen in den Arztpraxen und Apotheken.
- Unterversorgung: 40 Prozent der Patienten erhalten nach manueller Lymphdrainage (MLD) keine notwendige Kompressionstherapie, wodurch die Wirkung verpufft.
- Komplexität der Verordnung: Ärzte sollen zahlreiche spezialisierte Zusätze kennen und korrekt verschreiben, was oft zu Fehlern führt.
- Kompetenzverlagerung: Ärzte sollten das grundsätzliche Hilfsmittel verschreiben und die Sanitätshäuser ergänzen die individuelle Anpassung.
Rundgestrickte Kompressionsstrümpfe schmiegen sich nahtlos an das Bein, sind elastisch und dehnbar – doch genau diese Flexibilität kann bei der Behandlung von Lymphödemen zum Problem werden. Denn hier zählt nicht nur das sanfte Anliegen, sondern vor allem der stabile Druck, der dem Gewebe Halt gibt und Schwellungen in Schach hält. Wird die falsche Strumpfart gewählt, kann sich das Leiden verschlimmern, anstatt zu bessern. Offene Beine und chronische Wunden können die Folge sein.
Doch nicht nur die Wahl zwischen rund- und flachgestrickten Kompressionen ist entscheidend. Schon in der Arztpraxis muss festgelegt werden, ob eine Versorgung mit konfektionierten Strümpfen eine Option darstellt oder eine maßangefertigte Lösung notwendig ist. Meistens wird jedoch erst im Sanitätshaus gemessen, denn hier verantworten die ausgebildeten Bandagisten und Fachpersonal mit Lymphzertifikat die Versorgung.
Fehlverordnungen: Ein Systemfehler mit Folgen
Eine fehlerhafte Verordnung kann meist leicht durch Rückfragen korrigiert werden. Das größte Problem: Viele Vertragsärzte verordnen die wichtige Kompressionstherapie gar nicht oder nicht in Kombination mit der Manuellen Lymphdrainage. Ein Blick in den Heilmittelreport 2024 des BARMER Instituts für Gesundheitssystemforschung (bifg) bestätigt das Problem: Mehr als 40 Prozent der Patienten, die von ihren Ärzten eine manuelle Lymphdrainage (MLD) verschrieben bekommen, erhalten nicht die dringend notwendige Kompressionstherapie dazu. Doch ohne Kompression bleibt der Effekt der Lymphdrainage nicht bestehen – die Flüssigkeit wird zwar aus dem Gewebe massiert, kehrt jedoch schnell wieder zurück. Damit läuft die MLD ins Leere. Deshalb fordern die aktuellen ärztlichen Leitlinien der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF), dass jede Lymphdrainage zwingend mit einer entsprechenden Kompressionsverordnung einhergehen muss.
„Wenn schon Versicherten eine notwendige Kompression wegen Unwissenheit über die Leitlinien zu selten verschrieben wird, können wir nicht erwarten, dass Ärzte volle Kenntnis über die Komplexität von Kompressionsversorgung im Detail haben. Hier können Bandagisten und Lymphexperten entlasten. Sie sollten bei der Verordnung viel mehr ins Boot geholt werden“, folgert Alf Reuter, Präsident des Bundesinnungsverbandes für Orthopädie-Technik (BIV-OT). „Eine Unterversorgung von 40 Prozent bedeutet nicht nur viel Leid für die Patienten und Folgeschäden wie offene Beine, sie ist auch ein enormer Kostentreiber. Eine Investition in eine bessere Versorgung schafft Beitragsstabilität. Zu den derzeit geltenden Stundenverrechnungssätzen ist die Lymphversorgung ein Zuschussgeschäft.”
Zusätze: Vielfalt mit Tücken
Was eine individuelle Versorgung bedeutet, sieht man bereits an der Vielfalt der möglichen Zusätze, die bei einer Kompressionsversorgung zum Einsatz kommen können. Bei der Bundesfachschule Orthopädie-Technik (BUFA), die die Curricula für das Lymphzertifikat und Bandagisten verantwortet, sind allein für die Versorgung der Beine 22 Zusätze vorgesehen. Diese Zusätze sind nötig zum Beispiel, wenn ein Patient eine Zehen- oder Fußfehlstellung, eine Unverträglichkeit etwa gegenüber Silikonbändern oder eine Hautkrankheit hat.
Alf Reuter betont: „Wenn wir die Unterversorgung wirklich angehen wollen, brauchen wir mehr Verantwortung bei den Lymphtherapeuten und den Sanitätshäusern. Denn wir müssen grundsätzlich die Kompetenz dorthin verlagern, wo sie hingehört: Der Arzt muss das Lymphödem erkennen und niederschwellig direkt an Lymphtherapeut und Sanitätshaus die Leistung veranlassen können. Jede zusätzliche Bürokratie kostet nicht nur Zeit, sondern auch viel Leid und Versichertengelder.“
Wenn Kompressionstherapie zum Nebengeschäft wird
Doch es gibt eine weitere Gefahr am Horizont: den Wegfall der Präqualifizierung für Apotheken.
„Die Unterversorgung betrifft nicht nur die fehlende Kompression nach einer manuellen Lymphdrainage“, warnt Reuter. „Noch dramatischer ist, dass Apotheken ohne spezialisierte Qualifikation in den Markt drängen. Kompressionstherapie ist keine Nebensache – eine falsche Versorgung kann Patienten unnötiges Leid zufügen und das Gesundheitssystem mit zusätzlichen Kosten von mehreren zehntausend Euro belasten. Diese hochspezialisierte Therapie in die Apotheken zu verlagern, ist fahrlässig.“
Ein funktionierendes Gesundheitssystem bedeutet, die richtigen Kompetenzen an den richtigen Stellen zu nutzen. Die Digitalisierung könnte hier eine Brücke bauen – wenn alle Beteiligten bereit sind, sie zu überqueren.
Die vollständige Liste der durch den Arbeitskreis lymphologische Kompressionsstrumpfversorgung der BUFA zusammengetragener Zusätze finden Sie hier.
Was ist ein Lymphödem?
Das Lymphödem ist eine chronische Erkrankung, bei der das lymphatische System gestört ist – neben dem Blutkreislauf das wichtigste Transportsystem im menschlichen Körper. Das Lymphsystem bewegt Nähr- und Abfallstoffe, entsorgt in den Lymphknoten Krankheitserreger wie Bakterien und Fremdkörper. Ist es beeinträchtigt, kann es zu Flüssigkeitsansammlungen kommen und das Gewebe schwillt an. Schwere Ausprägungen können bis zur Bewegungsunfähigkeit führen. Lymphödeme treten einerseits erblich bedingt auf (primäres Lymphödem), andererseits können Unfälle, Tumorerkrankungen oder Operationen die Abflussstörung auslösen (sekundäres Lymphödem). Frauen sind häufiger als Männer von der Schwellung betroffen, die einseitig zum Beispiel an einem Arm oder Bein auftreten kann. Standardbehandlung ist die Komplexe Physikalische Entstauungstherapie (KPE) samt exakt angepasster medizinischer Kompression, manueller Lymphdrainage zum Abtransport der Flüssigkeit im Gewebe, Hautpflege zur Wundvermeidung und Bewegungstherapie.
Ansprechpartner für die Presse:
Kirsten Abel • Pressesprecherin des Bundesinnungsverband für Orthopädie-Technik
Reinoldistr. 7 -9 • 44135 Dortmund • Telefon: 01715608125 • E-Mail: kirsten.abel@biv-ot.org
Über den Bundesinnungsverband für Orthopädie-Technik:
Der Bundesinnungsverband für Orthopädie-Technik (BIV-OT) vertritt als Spitzenverband mehr als 4.500 Sanitätshäuser und orthopädie-technische Werkstätten mit über 48.000 Beschäftigten, die mehr als 25 Millionen Hilfsmittelversorgungen in Deutschland pro Jahr in mehr als 30 Bereichen verantworten.
Im pressum:
Bundesinnungsverband für Orthopädie-Technik Reinoldistr. 7-9, 44135 Dortmund Postfach 10 06 51, 44006 Dortmund Tel.: 0231/557050-0, Fax: 0231/557050-40
E-Mail: info @ biv-ot.org
Vertreten durch: Präsident: Alf Reuter Vizepräsident: Albin Mayer Geschäftsführer: Diplom-Kaufmann Georg Blome
Rechtsform: Bundesinnungsverband als juristische Person des Privatrechts gem. § 85 Handwerksordnung (HWO)
Zuständige Aufsichtsbehörde: Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz, 10115 Berlin E-Mail: info@bmwi-bund.de
UST-ID: DE124651675