Polwärts wandern: intrakontinentale Ausbreitung gebietsfremder Pflanzen, PI Nr, 106/2023
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Polwärts wandern: intrakontinentale Ausbreitung gebietsfremder Pflanzen
In Europa und Amerika stammen viele der dortigen gebietsfremden Pflanzenarten vom eigenen Kontinent und haben ihren Ursprung meist in den Regionen der niedrigeren Breitengrade – ein Problem, das durch den Klimawandel noch verschärft werden könnte. Zu diesem Schluss kommt ein internationales Forschungsteam unter der Leitung Konstanzer Biologen in seiner aktuellen Studie.
Wenn sich Pflanzen- oder Tierarten über ihre natürlichen Verbreitungsgebiete hinaus ausbreiten, kann dies zu gravierenden ökologischen Folgen in den neubesiedelten Gebieten führen – beispielsweise indem heimische Arten durch die Neuankömmlinge verdrängt werden. Aus diesem ökologischen Schaden durch den Verlust der heimischen Artenvielfalt resultiert gleichzeitig ein immenser wirtschaftlicher Schaden, den der Weltbiodiversitätsrat in seinem aktuellen Bericht (2023) gerade auf mindestens 400 Milliarden Dollar (371 Milliarden Euro) bezifferte – und das pro Jahr.
Viele Menschen denken bei gebietsfremden Pflanzen oder Tieren zunächst an Arten aus Übersee, die beabsichtigt, aus wirtschaftlichem Interesse, oder als „blinde Passagiere“ die Ozeane überqueren. Am Beispiel von Europa, Australien sowie Nord- und Südamerika zeigt ein internationales Forschungsteam um den Konstanzer Biologen Mark van Kleunen jedoch, dass diese nur einen Teil des Problems ausmachen – zumindest bei durch den Menschen verbreiteten, gebietsfremden Pflanzen. In ihrer Studie in Science Advances konnten die Forschenden nachweisen, dass auf den betrachteten Kontinenten mehr als die Hälfte (56.7%) der gebietsfremden Pflanzenarten, die sich erfolgreich in neuen Gebieten angesiedelt haben, ursprünglich vom eigenen Kontinent stammten. Besonders hoch waren die Anteile in Europa und Nordamerika. Auffällig niedrig war der Anteil hingegen in Australien.
Wiederkehrende Muster in der intrakontinentalen Ausbreitung
Bei den drei der untersuchten Kontinente mit dem höchsten Anteil an intrakontinentalen gebietsfremden Pflanzen – Europa, Nord- und Südamerika – stellten die Forschenden zudem Gemeinsamkeiten in den Ausbreitungsmustern fest: Die intrakontinentale Verbreitung erfolgte in der Mehrzahl der Fälle von den äquatornahen Regionen in Richtung der jeweiligen Pole. „Mit steigender Nähe zum Äquator steigt auch die Vielfalt der in einer Region natürlicherweise vorkommenden Arten. Es gibt in diesen Regionen also schlichtweg einen viel größeren Fundus an Arten, der in Richtung der Pole verbreitet werden kann, als umgekehrt“, gibt Zhijie Zhang, Erstautor der Studie, eine Erklärung für das Phänomen.
Die Forschenden untersuchten in ihrer Studie außerdem, welche Rolle anthropogene, klimatische und geographische Faktoren bei der intrakontinentalen Ausbreitung gebietsfremder Pflanzen spielen. Sie zeigten, dass hohe geographische Distanzen und große klimatische Unterschiede der Ausbreitung entgegenwirken. „Obwohl die Pflanzen mithilfe des Menschen bereits die natürlichen Grenzen ihres ursprünglichen Verbreitungsgebiets überwinden konnten, gelingt es ihnen umso besser, sich in einem neuen Gebiet anzusiedeln, je näher dieses zu ihrem Ursprungsgebiet liegt. Gleiches gilt für Gebiete, die dem Ursprungsgebiet klimatisch ähnlicher sind“, fügt Zhang hinzu.
Bezüglich der Auswirkungen des Klimawandels schließen die Forschenden aus ihren Ergebnissen, dass dieser die intrakontinentale Ausbreitung gebietsfremder Pflanzen eher beschleunigen wird. „Mit dem fortschreitenden Klimawandel werden die Regionen der höheren Breitengrade für eine zunehmende Anzahl an Arten geeignete klimatische Bedingungen bieten. So steigen dann die Chancen für gebietsfremde Arten, sich dort zu etablieren, mit all den potentiellen negativen Folgen für die Artenvielfalt und Wirtschaft in den Empfängerregionen“, so van Kleunen.
Faktenübersicht:
- Originalpublikation: Z. Zhang, Q. Yang, T. S. Fristoe, et al. (2023) The poleward naturalization of intracontinental alien plants. Science Advances; doi: https://doi.org/10.1126/sciadv.adi1897
- Internationales Forschungsteam unter Konstanzer Leitung untersucht die intrakontinentale Ausbreitung gebietsfremder Pflanzen
- In Amerika und Europa erfolgt die intrakontinentale Ausbreitung gebietsfremder Pflanzen zu einem Großteil aus äquatornahen Regionen in Richtung der nächstgelegenen Pole
- Der voranschreitende Klimawandel droht das Phänomen zu beschleunigen
- Funding: Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG), Österreichischer Wissenschaftsfonds (FWF), Czech Science Foundation (GACR) und Akademie der Wissenschaften der Tschechischen Republik, China Scholarship Council (CSC), National Fund for Scientific and Technological Development (Fondecyt; Chile) und Young Scholar Fund der Universität Konstanz
Hinweis an die Redaktionen:
Fotos können im im Folgenden heruntergeladen werden:
Link: https://www.uni-konstanz.de/fileadmin/pi/fileserver/2023/polwaerts_wandern_01.jpg
Link: https://www.uni-konstanz.de/fileadmin/pi/fileserver/2023/polwaerts_wandern_02.jpg
Bildunterschrift: Die Rispen-Flockenblume (Centaurea stoebe) ist eine intrakontinentale gebietsfremde Pflanze in Europa.
Bild: © Dr. Rutger Wilschut
Kontakt: Universität Konstanz Kommunikation und Marketing E-Mail: kum@uni-konstanz.de
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