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Wie Gemeinschaft unter Tieren entsteht, PI 01/2025

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Wie Gemeinschaft unter Tieren entsteht

Wie kommen langfristige soziale Bindungen unter Tieren zustande und wie beeinflusst dies deren Bereitschaft zur Zusammenarbeit? Ein Erklärungsmodell dazu stellen Michael Griesser von der Universität Konstanz und Miya Warrington von der Oxford Brookes University in einem Beitrag für die Zeitschrift Trends in Ecology and Evolution vor. Eine Schlüsselrolle spielt die elterliche, fürsorgliche Berührung.

Lebewesen kooperieren, wenn sie einen unmittelbaren Nutzen daraus ziehen können. Doch wie sieht es im Tierreich mit sozialem Zusammenhalt aus, der erst auf lange Sicht Früchte trägt? Der Biologe Michael Griesser vom Exzellenzcluster „Kollektives Verhalten“ der Universität Konstanz und seine Kollegin Miya Warrington von der britischen Oxford Brookes University nehmen das zentrale biologische Phänomen der Zusammenarbeit differenziert unter die Lupe. „In der Forschung werden häufig sämtliche Formen von Zusammenarbeit in einen Topf geworfen, dabei handelt es sich um sehr unterschiedliche Verhaltensmuster“, sagt Griesser. „Am einen Ende der Skala gibt es spontane Formen von Kooperation, die einem sofortigen Nutzen der Beteiligten dienen, am anderen finden sich langfristige, enge soziale Formen von Zusammenarbeit.“ Wie entstehen solche langfristigen Bindungen und welche Mechanismen tragen dazu bei? In ihrem neuen Artikel “The power of caring touch: from survival to prosocial cooperation” geben Griesser und Warrington eine Antwort auf diese Frage.

Den Grundstein für die Untersuchung legte Griessers Forschung zu zwei Vogelarten: Aktuell studieren Michael Griesser und Miya Warrington das Verhalten von Unglückshähern (Siberian jay), die eher distanziert miteinander umgehen und keine kooperative Brutpflege betreiben. Zuvor widmeten sich die beiden Forschenden den sehr sozialen australischen Gimpelhähern (Apostlebird), die sich gegenseitig ihr Gefieder pflegen und das Allermeiste in ihrem Leben gemeinsam machen. Als wesentlichen Unterschied erkannten sie, dass unter Gimpelhähern physische Berührungen omnipräsent sind und vor allem auch intensive Brutpflege stattfindet. Ähnliche Beispiele kooperativen Verhaltens unter Vogelarten und Säugetieren ließen Griesser und Warrington darauf schließen, dass die fürsorgliche Berührung eine Grundlage für soziale Zusammenarbeit sei.

Fürsorgliche Berührungen stimulieren Oxytocin

Das Modell, welches die Biolog*innen entwerfen, geht von einer Rückkopplungsschleife verschiedener Faktoren aus, die sich gegenseitig beeinflussen: physische Berührung, eine mentale prosoziale Haltung und starke Bindungen im Sozialverhalten. Dabei spielen die Hormone Oxytocin und Vasotocin eine wichtige Rolle. Bei den Tieren dienen diese Hormone ursprünglich, um ihren Wasserhaushalt zu regulieren, und steuern den weiblichen Zyklus. Sie haben aber sekundär auch eine soziale Funktion, etwa die Brutpflege in Gang zu setzen. Fürsorgliche Berührungen, insbesondere im Rahmen der Brutpflege, lösen die Ausschüttung von Oxytocin und Vasotocin aus. Das intensiviert die Rückkopplungsschleife aus physischer Berührung, sozialer Haltung und Bindungsstärke, was wiederum zu verstärkter Hormonausschüttung führt. Mit ihrer Hypothese der „fürsorglichen Berührung“ erklären sich Griesser und Warrington das Zustandekommen sozialkooperativen Verhaltens.

Die Forscher illustrieren ihr Modell anhand von Afrikanischen Sandgräbern (z.B. Nacktmullen). Sandgräber legen bei der Aufzucht ihrer Jungen unterschiedliches Verhalten an den Tag. Einige Arten zeigen sich hier sehr sozial, andere leben solitär. Am Beispiel von sechs Arten konnten die Forschenden zeigen, dass ein höherer Oxytocin-Spiegel mit mehr berührungsempfindlichen Rezeptoren auf der Haut und häufigeren Berührungen zusammenhängt. Entsprechende Arten sind geselliger und kooperieren bei der Brutpflege. Die soziale Zusammenarbeit wiederum ermöglicht es beispielsweise den Nacktmullen, auch in heißeren und trockeneren Gegenden zu überleben.

Die Dynamik sozialer Zusammenarbeit

Was der Nachwuchs während der elterlichen Brutpflege an Zuwendung erfährt, etabliert eine Dynamik, die bis ins Erwachsenenalter trägt, so Griesser. „Die Tiere können später nicht nur im Rahmen der eigenen Herkunftsfamilie, sondern auch mit anderen erwachsenen Individuen besser soziale Kooperationen eingehen, in Partner- und Freundschaften und in der eigenen Elternschaft.“

Miteinander zusammenzuarbeiten bringt in sämtlichen entscheidenden Lebensbereichen Vorteile: ob Tiere einander gute Futterplätze mitteilen, sich gegenseitig vor Raubtieren warnen oder gemeinsam verteidigen. Auch bei der gemeinschaftlichen Brutpflege oder bei der Partnersuche unterstützt die Zusammenarbeit. Diese vorteilhaften Auswirkungen sehen Griesser und Warrington als Grund dafür, dass sich soziale Zusammenarbeit im Laufe der Evolution überhaupt entwickelt haben – aus kurzfristigen gemeinsamen Aktionen, die nur der Befriedigung körperlicher Bedürfnisse dienten. Ein weiterer Evolutionsvorteil: „Soziale Zusammenarbeit hilft den Individuen außerdem, ihr Stresslevel mithilfe von Oxytocin herunterzubringen. Das bietet geselligen Arten angesichts des Klimawandels mehr Möglichkeiten, mit Umweltstress umzugehen“, erklärt Griesser.

Zur Originalpublikation

Faktenübersicht:

  • Der Artikel “The power of caring touch: from survival to prosocial cooperation” ist im Journal Trends in Ecology and Evolution veröffentlicht und unter diesem Link zu lesen.
  • Der Artikel stellt einen Zusammenhang her zwischen fürsorglicher Berührung (insbesondere im Rahmen von Brutpflege), sozialer Haltung und sozialer Zusammenarbeit. Dabei spielen die Hormone Oxytocin und Vasotocin eine wichtige Rolle.
  • Autor Michael Griesser, der ein Heisenberg-Stipendium innehat, arbeitet am Exzellenzcluster „Kollektives Verhalten“ der Universität Konstanz und ist dem Max-Planck-Institut für Verhaltensbiologie assoziiert.
  • Autorin Miyako H. Warrington forscht an der Oxford Brookes University, Oxford, Großbritannien.
  • Beteiligt an dem Paper waren außerdem Nigel C. Bennett (University of Pretoria, Südafrika), Judith M. Burkart (Universität Zürich, Schweiz), Daniel W. Hart (University of Pretoria, Südafrika) und Natalie Uomini (Universität Zürich, Schweiz).

Hinweis an die Redaktionen:

Ein Foto kann im Folgenden heruntergeladen werden:

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Bildunterschrift: Die sozialen australischen Gimpelhäher gehen gerne auf Kontakt.

Copyright: Miya Warrington

Ein weiteres Foto kann im Folgenden heruntergeladen werden:

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Bildunterschrift: Unglückshäher pflegen einen eher distanzierten Umgang miteinander.

Copyright: Michael Griesser

Kontakt:
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Kommunikation und Marketing
Telefon: + 49 7531 88-3603
E-Mail:  kum@uni-konstanz.de

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