Künstliche Intelligenz in der Justiz, Pi Nr. 18/2025
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Künstliche Intelligenz in der Justiz
Ein neuer Forschungsverbund der Daimler und Benz Stiftung untersucht die Chancen moderner Softwaretechnologien im Rechtswesen. Mit am Projekt beteiligt: Liane Wörner, Direktorin des Centre for Human | Data | Society an der Universität Konstanz
Im neuen „Ladenburger Kolleg“ nimmt die Daimler und Benz Stiftung den Einsatz großer Sprachmodelle, sogenannter Large Language Models (LLM), im Justizwesen in den wissenschaftlichen Fokus. Für das Förderprojekt „Technologische Intelligenz zur Transformation, Automatisierung und Nutzerorientierung des Justizsystems (TITAN)“ stehen rund 1,5 Millionen Euro zur Verfügung.
Im Justizsystem geht es vornehmlich um die Erstellung, Auslegung und Anwendung rechtlich relevanter Texte. Vereinzelt nutzen Akteur*innen dafür bereits heute KI-Systeme wie ChatGPT – bislang jedoch weitgehend unkoordiniert. Das neue Förderprojekt TITAN soll dazu beitragen, den Umgang mit lernender Software zu systematisieren. Denn künstliche Intelligenz eröffnet ungeahnte Chancen: Routineaufgaben könnten automatisiert, komplexe Probleme einfach gelöst und individuelle Bedürfnisse vorausschauend erkannt werden. Gleichzeitig sind damit jedoch Risiken verbunden und auf der Anwenderseite gibt es Vorbehalte, Hoffnungen und Ängste.
„Was wir nicht wollen, ist eine Künstliche Intelligenz, die einen Rechtsstreit entscheidet“, gibt Prof. Dr. Liane Wörner von der Universität Konstanz Entwarnung. „Uns geht es darum, wie wir mit Hilfe von KI die Gerichtsakten und die Rechtsprechung besser analysieren, lesen und verstehen, also transparenter machen können.“ Ein Beispiel aus der Praxis wären große Ermittlungen, bei deren Beweisführung teils hunderte oder sogar tausende Seiten an Dokumenten anfallen, oder auch Massenverfahren mit einer Vielzahl gleichgelagerter Fälle. Hier könnte Künstliche Intelligenz helfen, die großen Datenmengen zu bewältigen und dadurch die Beweisführung zu unterstützen.
„Im Ladenburger Kolleg TITAN wollen wir untersuchen, ob künstliche Intelligenz Funktionen im Justizsystem effizient erfüllen kann, sodass Grundrechte, Demokratie und Rechtsstaat gestärkt werden“, erklärt Prof. Dr. Anne Paschke, Technische Universität Braunschweig. Eine wesentliche Voraussetzung sei etwa die Akzeptanz seitens Justizangehöriger, Rechtanwält*innen sowie Akteur*innen der Rechtspflege.
Als wissenschaftliche Leiterin des neuen Förderprojekts bringt Paschke Vertreter*innen unterschiedlicher Fachdisziplinen zusammen: Rechtsinformatik, Betriebswirtschaftslehre, Arbeits- und Organisationspsychologie sowie Öffentliches Recht, Zivilrecht, Strafrecht und Rechtstheorie. Für den effizienten Einsatz von KI-Systemen wollen die Expert*innen zum einen konkrete Felder im Justizsystem identifizieren, in denen Softwaretechnologien den Menschen zielgenau unterstützen und entlasten können. Dabei gilt es, die rechtlichen Rahmenbedingungen für die jeweiligen Einsatzszenarien zu definieren und sicherzustellen.
Die Konstanzer Juristin Liane Wörner ist als Expertin für Strafrecht und Rechtstheorie an dem Forschungsverbund beteiligt. Sie wird im Rahmen des Projekts insbesondere die rechtlichen Bedingungen und Grenzen für den KI-Einsatz ausloten, mit Fragestellungen wie: Was sind die rechtlichen Voraussetzungen für einen KI-Einsatz im Justizwesen? Wie kann sichergestellt werden, dass die freiheitlich-demokratische Grundordnung gewährleistet bleibt? Wo liegen Gefahren und wie können sie eingedämmt werden? „Statistische Prozesse dürfen nicht die Qualität eines Rechtsverfahrens ersetzen“, stellt Wörner klar. Der Konstanzer Rechtsexpertin ist wichtig, dass durch das Projekt gesellschaftliche Akzeptanz für einen möglichen KI-Einsatz geschaffen wird. „Dafür braucht es Zutrauen, Transparenz und Innovation. Das kommt hier zusammen.“
Darüber hinaus widmen sich die Wissenschaftler*innen des Forschungsverbunds zentralen psychologischen Fragen, etwa der Vertrauenswürdigkeit, der Gestaltung von Arbeits- und Veränderungsprozessen und der gefühlten Verantwortlichkeit der einzelnen Akteur*innen. Zur künftigen Akzeptanz digitaler Transformationsprozesse tragen nach Einschätzung der Expert*innen auch agile Organisationsformen mit schnellen Entscheidungsprozessen, hoher Eigenverantwortung und Fehlerakzeptanz bei. Auch Sichtweisen externer Stakeholder wollen die Wissenschaftler*innen einholen und einen Blick aus internationaler Perspektive wagen. Die interdisziplinäre Forschung im Förderprojekt TITAN findet über einen Zeitraum von drei Jahren statt.
Faktenübersicht:
Förderprojekt „Technologische Intelligenz zur Transformation, Automatisierung und Nutzerorientierung des Justizsystems (TITAN)“: Im Rahmen des Ladenburger Kollegs befasst sich die Forschungsgruppe ab sofort mit dem Einsatz künstlicher Intelligenz im Justizsystem. Die Daimler und Benz Stiftung fördert den Forschungsverbund für drei Jahre mit rund 1,5 Millionen Euro.
Sieben Universitäten, ein Projektteam:
- Technische Universität Braunschweig Prof. Dr. Anne Paschke (Koordination und Projektleitung), Öffentliches Recht und Digitalrecht
- Georg-August-Universität Göttingen Prof. Dr. Philipp Reuß, MJur (Oxford), Bürgerliches Recht und Zivilprozessrecht
- Universität Konstanz Prof. Dr. Liane Wörner, LL.M. (UWMad), Strafrecht und Rechtstheorie
- Universität des Saarlandes Prof. Dr. Dominik Brodowski, LL.M. (UPenn), Strafrecht und Digitalrecht
- Technische Universität München Prof. Dr. Matthias Grabmair, LL.M, Rechtsinformatik Prof. Dr. Isabell M. Welpe, Strategie und Organisation
- Universität Freiburg Prof. Dr. Markus Langer, Arbeits- und Organisationspsychologie
- Stanford University, USA Prof. Dr. Daniel E. Ho, Rechtsinformatik und Politikwissenschaft
Ladenburger Kolleg: Die Ladenburger Kollegs stellen eine Schwerpunktförderung der Daimler und Benz Stiftung dar. Das Format bietet Wissenschaftler*innen die Möglichkeit, innerhalb eines interdisziplinären Forschungsverbunds Themenstellungen über einen längeren Zeitraum zu bearbeiten. Hierzu veröffentlicht die Stiftung in unregelmäßigen Abständen Ausschreibungen.
Daimler und Benz Stiftung: Die Daimler und Benz Stiftung fördert Wissenschaft und Forschung. Dazu richtet sie innovative und interdisziplinäre Forschungsformate ein. Ein besonderes Augenmerk legt die Stiftung durch ein Stipendienprogramm für Postdoktorand*innen sowie die Vergabe des Bertha-Benz-Preises auf die Förderung junger Wissenschaftler*innen. Mehrere Vortragsreihen sollen die öffentliche Sichtbarkeit von Wissenschaft stärken und deren Bedeutung für unsere Gesellschaft betonen.
Prof. Dr. Liane Wörner, LL.M. (UW-Madison), ist Professorin für Strafrecht, Strafprozessrecht, Strafrechtsvergleichung, Medizinstrafrecht und Rechtstheorie. Sie ist die Direktorin des Centre for Human | Data | Society der Universität Konstanz, das sich mit den Auswirkungen der Digitalisierung und Datafizierung auf Mensch und Gesellschaft befasst.
Hinweis an die Redaktionen:
Ein Foto steht zum Download zur Verfügung: https://www.uni-konstanz.de/fileadmin/pi/fileserver/2025/kuenstliche_intelligenz_in_der_justiz.jpg
Bildunterschrift: Prof. Dr. Liane Wörner, LL.M. (UW-Madison), ist Professorin für Strafrecht, Strafprozessrecht, Strafrechtsvergleichung, Medizinstrafrecht und Rechtstheorie an der Universität Konstanz.
Bild: Universität Konstanz, Inka Reiter
Kontakt: Universität Konstanz Kommunikation und Marketing E-Mail: kum@uni-konstanz.de
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