Antisemitismus unter Studierenden auf niedrigem Niveau, PI Nr. 34/2025
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Antisemitismus unter Studierenden auf niedrigem Niveau
Wie blicken Studierende in Deutschland zweieinhalb Jahre nach dem Terrorangriff der Hamas auf den Nahostkonflikt? Eine aktuelle Befragung der AG Hochschulforschung an der Universität Konstanz – gefördert vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) – zeigt: Eine breite Mehrheit verurteilt den Terror der Hamas, lehnt militärische Gewalt ab und setzt auf friedliche Protestformen. Antisemitische Haltungen sind unter Studierenden dabei weiterhin auf niedrigem Niveau.
Für die aktuelle Studie, gefördert vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF), hat die AG Hochschulforschung unter der Leitung von Thomas Hinz, Professor für empirische Sozialforschung, zum zweiten Mal über 1.800 Studierende sowie mehr als 2.000 Personen aus der allgemeinen Bevölkerung über ihre Einstellung zum Nahostkonflikt und antisemitische Tendenzen befragt. „Damit schließen wir direkt an unsere Vorläuferstudie von letztem Jahr an und können mögliche Veränderungen im Vergleich beschreiben“, erklärt Thomas Hinz, Principal Investigator am Exzellenzcluster „The Politics of Inequality“. Dieser Vergleich zeigt, dass antisemitische Haltungen unter Studierenden auf einem vergleichsweise niedrigen Niveau bleiben: Rund sechs Prozent zeigen ein ausgeprägtes antisemitisches Weltbild – in der Gesamtbevölkerung ist dieser Wert mehr als dreimal so hoch (20 Prozent).
Dabei fällt auf: Antisemitische Haltungen stehen in Zusammenhang mit Verschwörungsdenken, das in der allgemeinen Bevölkerung deutlich häufiger vorkommt als unter Studierenden. Mit anderen Worten: „Antisemitische Haltungen weisen vor allem diejenigen Befragten auf, die Verschwörungsmythen zustimmen“, so die Autor*innen der Studie.
Wie auch in der Vorgängerstudie haben Studierende nur selten antisemitische Handlungen an ihren Hochschulen wahrgenommen. Um hier ein differenziertes Bild zu erhalten, haben die Forschenden erstmals auch Hochschulleitungen befragt. Ungefähr 40 Prozent von 94 befragten Hochschulen berichten von antisemitischen Vorfällen oder pro-palästinensischen Protesten – mehrheitlich in Form von Plakaten, Aufklebern oder ähnlichen Symbolen.
Anlaufstellen zur Bekämpfung von Antisemitismus existieren bei einer großen Mehrheit der befragten Hochschulen (85 Prozent). Alle Hochschulen, an denen es zu antisemitischen Vorfällen kam, haben eine entsprechende Anlaufstelle eingerichtet. Zwei Drittel organisieren zudem Informationsveranstaltungen, Diskussionsrunden oder Ausstellungen zum Thema Antisemitismus, aber: Der Vergleich der Studierendenbefragung mit der Umfrage unter Hochschulleitungen zeigt, dass Studierende das Außmaß antisemitischer Vorfälle an ihren Hochschulen unterschätzen. Auch sind sie wenig über hochschulinterne Maßnahmen informiert, die gegen Antisemitismus ergriffen werden. Thomas Hinz schlussfolgert: „Es ist weiterhin hohe Wachsamkeit angezeigt – insbesondere gegenüber einer vergleichsweise neuen Form des antisemitischen Denkens und Verhaltens, dem israelbezogenen Antisemitismus“.
Methodik
Die Ergebnisse basieren auf drei Befragungen: einer Onlineumfrage unter 1.885 Studierenden, einer Vergleichsbefragung unter 2.031 Personen der erwachsenen Wohnbevölkerung sowie einer Befragung von 94 Hochschulleitungen. Alle Befragungen wurden im Dezember 2024 und Januar 2025 online durchgeführt. Die Studierenden und Bevölkerungsteilnehmenden wurden über ein Access-Panel rekrutiert, die Daten nach relevanten Merkmalen wie Alter, Geschlecht und Bildung gewichtet. Die Hochschulleitungen – Mitglieder der Hochschulrektorenkonferenz – gaben Auskunft zu antisemitischen Vorfällen und Maßnahmen an ihren Einrichtungen.
Faktenübersicht
- Originalpublikation: Hinz, T., Marczuk, A., Multrus, F. (2025). Antisemitismus und pro-palästinensische Proteste an deutschen Hochschulen: Befragungsergebnisse bei Studierenden und Hochschulleitungen. Working Paper Series Nr. 43, Exzellenzcluster „The Politics of Inequality“, Universität Konstanz.
- Transparenzhinweis: Die Studie wurde vom Ministerium für Bildung und Forschung (BMBF) in Auftrag gegeben.
- Autor*innen:
- Thomas Hinz ist Professor für empirische Sozialforschung und Principal Investigator am Exzellenzcluster „The Politics of Inequality“ an der Universität Konstanz.
- Anna Marczuk ist promovierte Soziologin und Projektkoordinatorin der AG Hochschulforschung an der Universität Konstanz.
- Frank Multrus ist promovierter Soziologe und wissenschaftlicher Mitarbeiter der AG Hochschulforschung.
- Der Exzellenzcluster „ The Politics of Inequality” an der Universität Konstanz erforscht aus interdisziplinärer Perspektive die politischen Ursachen und Folgen von Ungleichheit. Die Forschung widmet sich einigen der drängendsten Themen unserer Zeit: Zugang zu und Verteilung von (ökonomischen) Ressourcen, der weltweite Aufstieg von Populist*innen, Klimawandel und ungerecht verteilte Bildungschancen.
Kontakt: Universität Konstanz Kommunikation und Marketing E-Mail: kum@uni-konstanz.de
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