Deutschlands Schulleitungen sehen sich als visionäre Reformer - 60 Prozent sind sogar bereit, rechtliche Vorgaben dafür zu umgehen
Berlin (ots)
Zwischen Vision und Rebellion: Cornelsen Schulleitungsstudie 2025
Die dritte Cornelsen Schulleitungsstudie zeigt: Deutschlands Schulleitungen treiben Reformen voran - und das zum Teil bis an die rechtlichen Grenzen. Mehr als 2.000 Schulleiterinnen und Schulleiter haben an der repräsentativen Befragung teilgenommen, die das FiBS Forschungsinstitut für Bildungs- und Sozialökonomie zusammen mit dem Bildungsforscher Prof. Dr. Klaus Hurrelmann herausgegeben hat. "Die Schulleitungen sehen sich als Akteure des Wandels. Wenn es nach ihnen ginge, wäre Deutschland schon sehr viel weiter bei der Transformation des Schulsystems hin zu mehr Autonomie, Gerechtigkeit und Zukunftsorientierung", so Hurrelmann. Unter Schulleitungen macht sogar das Wort von der "Exzellenz durch Regelbruch" die Runde. Hurrelmann führt dazu aus: "Sie sind Rebellinnen und Rebellen und nehmen sich die Freiheit, mehr Selbständigkeit für ihre Schulen zu erkämpfen." Studienleiterin Dr. Sarah Fichtner ergänzt: "Die tägliche Belastung für Schulleitungen ist enorm. Dennoch bleiben sie lösungsorientiert und blicken zuversichtlich in die Zukunft."
Schulen im Stress
Diverse Belastungen setzen Schulleitungen und Schulen unter Stress. Der Personalmangel bleibt der größte Stressfaktor für Schulen - an jeder zweiten fehlen Lehrkräfte. Ohne Quereinsteiger:innen und Studierende wäre der Schulalltag kaum zu stemmen. Erstmals liegt die Gesundheit von Lehrkräften und Schüler:innen mit 48 Prozent auf Platz zwei der dringlichsten Schulleitungsthemen. 2023 nannten gerade einmal 24 Prozent die Gesundheit als dringliches Thema. Zudem erschweren gesellschaftliche Spannungen, etwa zunehmender Rechtsextremismus, eine demokratische Schulgestaltung.
Perspektiven für mehr Bildungsgerechtigkeit
Die große Mehrheit der Befragten hält das deutsche Schulsystem für ungerecht. 84 Prozent sagen, es lässt Menschen zurück. Doch die Befragten sehen Lösungen: 75 Prozent setzen auf das Startchancenprogramm, 73 Prozent empfehlen eine spätere Schulform-Differenzierung. 78 Prozent sehen gebundene Ganztagsschulen als Beitrag zur Bildungsgerechtigkeit. Und knapp acht von zehn fordern, stärker auf die Heterogenität der Schüler:innen einzugehen, um den Lernerfolg zu steigern.
Digital zu mehr Lernerfolg
Gute Nachrichten gibt es zum Thema Digitalität. Denn drei von vier Befragten sind mit der digitalen Infrastruktur ihrer Schulen zufrieden. Anders als in den Schulleitungsstudien zuvor (2022 und 2023) gehört die digitale Ausstattung nicht mehr zu den fünf dringlichsten Schulleitungsthemen. Mit 90 Prozent stimmen fast alle Befragten der Aussage zu, dass die Digitalisierung individualisierte Lernprozesse unterstützt und damit enorme Potenziale für mehr Lernerfolg birgt. KI wird für Schulleitungen in den nächsten fünf Jahren ein zentrales Thema werden. Besonders bei Lernerfahrungen (60 Prozent) und Prüfungen (55 Prozent) erwarten sie große Veränderungen durch KI.
Schlüsselkompetenzen stärken
Schule soll Schüler:innen auf die Anforderungen im Leben vorbereiten - auch auf die Anforderungen der Berufswelt. Hier sehen viele Schulleitungen noch Entwicklungsbedarf, vor allem bei der Förderung überfachlicher Schlüsselkompetenzen (80 Prozent) und der stärkeren Thematisierung aktueller Berufsanforderungen (72 Prozent). 79 Prozent sind der Meinung, die Berufsorientierung muss noch stärker in der Praxis erfolgen.
Berufliche Schulen als "Hidden Champions"?
In der Schulleitungsstudie 2025 wurden erstmals auch berufliche Schulen befragt - mit spannenden Ergebnissen. Ihre Schulleitungen gehen pragmatischer mit Personalmangel um, insbesondere was die Einbindung von Quer- und Seiteneinsteigenden angeht. Denn 84 Prozent empfinden deren praktische Berufserfahrungen als Bereicherung für den Unterricht (allgemeinbildende Schulen: 62 Prozent). Sie sind zudem offener für die Digitalisierung und für das Thema KI. 43 Prozent wünschen sich eine stärkere inhaltliche Beschäftigung mit KI, bei den allgemeinbildenden Schulen liegt dieser Wert bei 21 Prozent. Damit erweisen sich berufliche Schulen in wichtigen Themen als Champions, genauer gesagt als "Hidden Champions". Denn 96 Prozent ihrer Schulleitungen bemängeln, dass ihre Arbeit im Vergleich zu den allgemeinbildenden Schulen zu wenig öffentliche Wahrnehmung bekommt.
Die Studie
Die vorliegende Cornelsen Schulleitungsstudie 2025 ist bereits die dritte Studie ihrer Reihe. Sie umfasste eine Online-Befragung sowie qualitative Interviews. Insgesamt wurden online 2.405 Schulleitungen befragt, davon 2.063 Schulleitungen, die repräsentativ die allgemeinbildenden Schulen abbilden, sowie 342 Schulleitungen beruflicher Schulen. Zusätzlich wurden 24 qualitative Interviews durchgeführt.
"Gerade in den qualitativen Interviews wird deutlich, dass es vielen Schulleiterinnen und Schulleitern ein echtes Anliegen ist, zu drängen, zu treiben und ihre Visionen von der Schule der Zukunft Wirklichkeit werden zu lassen. Wir täten gut daran, Menschen mehr machen zu lassen und weniger zu regulieren", sagt Dr. Dieter Dohmen, Direktor des FiBS Forschungsinstituts für Bildungs- und Sozialökonomie. Christine Hauck, Geschäftsführerin Didaktik und Content, fügt hinzu: "Die Studie zeigt zwei klare Trends: Schulen müssen immer mehr Themen bewältigen, die weit über das klassische Unterrichtsverständnis der letzten Jahrzehnte hinausgehen. Dafür brauchen sie Ressourcen und multiprofessionelle Teams. Gleichzeitig wird digitale Unterstützung immer wichtiger, um der Vielfalt an Schulen und der Vielfalt der Schüler:innen gerecht zu werden und Lernförderung zu verbessern."
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