Deutsch-französische Freundschaft – sichtbar aus dem All
HM-Forschende entwickeln eine neue Analysemethode, um Siedlungsräume grenzüberschreitend sichtbar zu machen. Ihre Untersuchungen zeigen, dass die deutsch-französische Grenze seit dem Schengen-Abkommen kaum noch als trennendes Element wahrgenommen wird und sich die politische Integration Europas mittlerweile auch in der Raumentwicklung widerspiegelt.
München, 14. April 2025 – HM-Professor Andreas Schmitt von der Fakultät für Geoinformation nahm das 60-jährige Bestehen des Élysée-Vertrages zum Anlass, die Siedlungsstrukturen Frankreichs und Deutschlands und insbesondere der Grenzregion näher zu untersuchen. Zusammen mit Co-Autorinnen und -Autoren entstanden zwei neue Studien, die mithilfe einer neuartigen KI-gestützten Methode Städte und Metropolregionen aus der Satellitenperspektive betrachten und vergleichen. Die Studien weisen zwar unterschiedliche Siedlungsmuster nach, doch statt einer klaren Trennlinie entlang der Grenze zeigen die Daten ein immer stärker zusammenwachsendes Europa.
Neuer Blick auf alte Grenzen
Die erste Studie vergleicht die Siedlungsmuster in Deutschland und Frankreich mithilfe der frei zugänglichen „Global Urban Footprint“-Satellitendaten des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR), die weltweit menschliche Siedlungen zeigen. Ein neu entwickelter Algorithmus identifiziert dabei Metropolregionen allein auf Basis der Siedlungsstruktur – unabhängig von administrativen Grenzen. Dabei fällt auf: Der historisch bedingte Zentralismus von Frankreich und der deutsche Föderalismus lassen sich noch heute an den Siedlungsmustern ablesen. Viele Stadtregionen entlang der deutsch-französischen Grenze wachsen jedoch so eng zusammen, dass sie sich kaum eindeutig einem Land zuordnen lassen – sie bilden grenzüberschreitende urbane Ellipsen, ein europäisches Musterbeispiel der Siedlungsentwicklung.
Grenzregion als Modellfall europäischer Integration
Diese Beobachtung war Ausgangspunkt für eine zweite Studie zur Entwicklung der Grenzregion seit dem Inkrafttreten des Schengen-Abkommens. Diese Studie fokussiert die Analyse der Siedlungsentwicklung entlang der deutsch-französischen Grenze anhand des World Settlement Footprint – Evolution, ein ebenso frei verfügbarer Datensatz des DLR, der die globale Ausbreitung menschlicher Siedlungen von 1985 bis 2015 aufzeigt. Die Auswertung der Daten beweist: Die einst trennende Grenze wirkt seit ihrer Öffnung im Jahr 1984 eher verbindend – Siedlungsräume auf beiden Seiten wachsen überdurchschnittlich stark und lassen die Grenze dazwischen mehr und mehr verschwinden.
Methoden, die neue Perspektiven eröffnen
Die zugrundeliegende Methodik basiert auf Siedlungsmasken aus Satellitendaten, also global verfügbare Karten, die bebaute und unbebaute Flächen voneinander abgrenzen. Sie zeigen, wo sich Siedlungsstrukturen wie Städte, Dörfer oder Industriegebiete befinden. Für sich genommen liefern diese Masken jedoch noch keine Aussage über Muster und Dynamiken der Siedlungsentwicklung. Sie zeigen nur, wo gebaut wurde –jedoch nicht, wie sich Siedlungen räumlich organisieren oder entwickeln. Erst der im Projekt entwickelte Clustering-Algorithmus erkennt darin völlig autonom zugrundliegende Muster – und verwandelt die Rohdaten der Satellitenkarten in greifbare Erkenntnisse. Insgesamt zeigen die Studien nicht nur, wo städtebauliche Strategien bereits erfolgreich waren, sondern liefern auch wertvolle Hinweise für die zukünftige Raum- und Infrastrukturplanung.
Wissenschaftlich fundiertes Plädoyer für offene Grenzen
Beide Studien belegen: Die deutsch-französische Grenze ist heute vor allem ein historisch gewachsenes, aber längst überholtes Konstrukt. Die tatsächlichen Siedlungsraumstrukturen widersprechen der Vorstellung klar abgegrenzter Nationalstaaten – sie spiegeln vielmehr die Realität eines vernetzten, geeinten Europas wider. Gerade in Zeiten neuer geopolitischer Spannungen senden diese Ergebnisse ein starkes Signal für Offenheit, grenzüberschreitende Zusammenarbeit und für ein friedliches Miteinander in Europa.
Gerne vermitteln wir einen Interviewtermin mit Prof. Dr. Andreas Schmitt.
Kontakt: Constance Schölch unter T 089 1265-1920 oder per Mail.
Publikationen:
Schmitt, Andreas, Haselmayr, Teresa & Taubenböck, Hannes. Urban Patterns from Space: A Remote Sensing Based Comparison Between France and Germany. KN J. Cartogr. Geogr. Inf. 74, 233–249 (2024). https://doi.org/10.1007/s42489-024-00173-x
Schmitt, Andreas, Kellhammer, Anna & Hauser, Sarah. Satellitenbasierte Erfassung der Siedlungsentwicklung entlang der Deutsch-Französischen Grenze: Wächst Europa zusammen? gis.Science 1, 13–29 (2025). https://doi.org/10.14627/gis.Science.2025.1.2
Andreas Schmitt
Prof. Dr.-Ing. Andreas Schmitt ist seit 2016 Professor für Angewandte Geodäsie an der Fakultät für Geoinformation und Gründungsmitglied des HM-Forschungsinstituts IAMLIS. Er war zuvor am Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) in Oberpfaffenhofen in der Radarfernerkundung mit Schwerpunkt auf Polarimetrie, Datenaufbereitung und Änderungserkennung beschäftigt. Seit Oktober 2020 hat er eine HTA-Forschungsprofessur inne.
Hochschule München Die Hochschule München ist mit über 500 Professorinnen und Professoren, 820 Lehrbeauftragten und über 18.500 Studierenden eine der größten Hochschulen für angewandte Wissenschaften Deutschlands. In den Bereichen Technik, Wirtschaft, Soziales und Design bietet sie rund 100 Bachelor- und Masterstudiengänge an. Exzellent vernetzt am Wirtschaftsstandort München, arbeitet sie eng mit Unternehmen und Institutionen zusammen und engagiert sich in praxisnaher Lehre und anwendungsorientierter Forschung. Die HM belegt im Gründungsradar des Stifterverbands deutschlandweit erneut den ersten Platz unter den großen Hochschulen und Universitäten. Neben Fachkompetenzen vermittelt sie ihren Studierenden unternehmerisches und nachhaltiges Denken und Handeln. Ausgebildet im interdisziplinären Arbeiten und interkulturellen Denken gestalten ihre Absolventinnen und Absolventen eine digital und international vernetzte Arbeitswelt mit. In Rankings zählen sie bei Arbeitgeberinnen und Arbeitgebern zu den Gefragtesten in ganz Deutschland. hm.edu
Hightech Agenda Dieses Forschungsprojekt wurde gefördert mit Mitteln der Hightech Agenda Bayern (HTA), einem Investitionsprogramm des Freistaats Bayern. Es stärkt die staatlichen Hochschulen Bayerns mit zusätzlichen Studienplätzen, Stellen für Professuren, für wissenschaftliches sowie nichtwissenschaftliches Personal und für Infrastruktur. Die Hochschule München fördert aus HTA-Mitteln die Forschung, Innovationen in Lehre und Transfer sowie Entrepreneurship. Schwerpunkte der Maßnahmen der HM bilden die Bereiche Digitalisierung, Künstliche Intelligenz sowie eine auf Nachhaltigkeit ausgerichtete Transformation der Gesellschaft.