Rechtsanwälte Aslanidis, Kress & Häcker-Hollmann
EuGH: Millionen Verträge können widerrufen werden - Kanzlei AKH-H erwirkt verbraucherfreundliches Urteil in Luxemburg
Der Europäische Gerichtshof hat am 09.09.2021 entschieden, dass die von deutschen Banken verwendeten Klauseln in Darlehensverträgen fehlerhaft sind und Verbraucher*innen ihre Verträge mit Vertragsschluss seit 10.06.2010 heute noch widerrufen können.
Der Europäische Gerichtshof hat am 09.09.2021 entschieden, dass die von deutschen Banken verwendeten Klauseln in Darlehensverträgen fehlerhaft sind und Verbraucher*innen ihre Darlehensverträge mit Vertragsschluss seit 10.06.2010 heute noch widerrufen können. Damit stärkt der EuGH massiv die Rechte der Verbraucher. Im Fall der Rückabwicklung über den Widerruf des Darlehensvertrags müssen Verbraucher ihre Restschulden nicht mehr tilgen und haben gegen die Bank einen Anspruch auf Rückzahlung ihrer Anzahlung und aller bereits gezahlten Monatsraten.
Unsere Kanzlei hatte vor dem Landgericht Ravensburg die Vorlage strittiger Rechtsfragen zum Europäischen Gerichtshof in Luxemburg erwirkt (LG Ravensburg, Beschluss vom 7.1.2020 – 2 O 315/19). Unser Verfahren (Az. C-33/20) gegen die Volkswagen Bank wurde vom EuGH mit zwei weiteren Verfahren verbunden, so dass auch die Skoda Bank (Az. C-155/20) und die BMW Bank (Az. C-187/20) in das Vorlageverfahren beim EuGH hineingezogen wurden. Das Urteil des EuGH hat grundsätzliche Bedeutung und ist auf sämtliche Verbraucherdarlehensverträge aller anderen Banken ebenfalls anwendbar.
„Wir haben in unserer langjährigen Praxis kaum einen Verbraucherdarlehensvertrag gesehen, der den Anforderungen des EuGH genügt. Nahezu jeder Verbraucherdarlehensvertrag verstößt gegen europäisches Recht. Die Auswirkungen sind gewaltig, denn Verbraucher können nun über den Widerruf auch Jahre nach Abschluss ihre Verträge rückabwickeln. Seit Jahren vertreten wir diese Rechtsansicht und freuen uns, dass sich der jahrelange Kampf für den Widerrufsjoker nun gelohnt hat.", sagt Christopher Kress, Rechtsanwalt und Partner der Kanzlei AKH-H.
Hintergrund des Urteils des EuGH: Pflicht zur ordnungsgemäßen Information der Verbraucher
Banken sind gesetzlich verpflichtet, Verbraucher bei dem Abschluss von Darlehensverträgen ordnungsgemäß über das Widerrufsrecht zu belehren. Daneben existiert eine Reihe von gesetzlich vorgeschriebenen Pflichtangaben, über die Banken in Verbraucherkreditverträgen klar und verständlich aufklären müssen. Gesetzlicher Hintergrund sind europarechtliche Vorgaben, die der deutsche Gesetzgeber in nationales Recht umsetzen musste. Unterbleibt die Belehrung über das Widerrufsrecht oder über erforderliche Pflichtangaben oder erfolgt sie unvollständig, kann der Finanzierungsvertrag grundsätzlich zeitlich unbefristet widerrufen werden.
Luxemburg macht Druck zugunsten des Verbraucherschutzes
Der Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe war im Hinblick auf verschiedene Klauseln in Darlehensverträgen sehr bankenfreundlich und hatte die Formulierungen in den Verträgen durchgehen lassen. Bereits in seinen Schlussanträgen vom 15.7.2021 hatte der Generalanwalt am Europäischen Gerichtshof, Gerard Hogan, den gerichtlichen Entscheidungen des BGH allerdings im Ergebnis widersprochen. Denn die Fragen, die der BGH europarechtlich als klar und eindeutig zu Gunsten der deutschen Bankenwirtschaft beantwortet hat, wurden aus Luxemburg dagegen sehr verbraucherfreundlich beurteilt.
Das Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 9.9.2021 im Detail
Auf die Vorlage des Landgerichts Ravensburg hat der EuGH jetzt höchstrichterlich entschieden: die von den Banken in Deutschland verwendeten Klauseln sind unklar und unverständlich. Die Reichweite dieses Urteils ist gewaltig. Denn das Urteil betrifft Millionen von Autokrediten.
Im aktuellen Urteil ging es unter anderem um folgende Aspekte in Kreditverträgen:
- Angabe zum Verzugszins: Im Kreditvertrag muss der zum Zeitpunkt des Abschlusses dieses Vertrags geltende Satz der Verzugszinsen in Form eines konkreten Prozentsatzes angegeben sein und der Mechanismus der Anpassung des Verzugszinssatzes ist konkret zu beschreiben. Haben die Parteien des betreffenden Kreditvertrags vereinbart, dass der Verzugszinssatz nach Maßgabe des von der Zentralbank eines Mitgliedstaats festgelegten und in einem für jedermann leicht zugänglichen Amtsblatt bekannt gegebenen Änderung des Basiszinssatzes geändert wird, reicht ein Verweis im Kreditvertrag auf diesen Basiszinssatz aus, sofern die Methode zur Berechnung des Satzes der Verzugszinsen nach Maßgabe des Basiszinssatzes in diesem Vertrag beschrieben wird. Insoweit sind zwei Voraussetzungen zu beachten. Erstens muss die Darstellung dieser Berechnungsmethode für einen Durchschnittsverbraucher, der nicht über Fachkenntnisse im Finanzbereich verfügt, leicht verständlich sein und es ihm ermöglichen, den Verzugszinssatz auf der Grundlage der Angaben im Kreditvertrag zu berechnen. Zweitens muss auch die Häufigkeit der Änderung dieses Basiszinssatzes, die sich nach den nationalen Bestimmungen richtet, in dem fraglichen Kreditvertrag angegeben werden.
- Vorfälligkeitsentschädigung: Im Kreditvertrag muss die Methode für die Berechnung der bei vorzeitiger Rückzahlung des Darlehens fälligen Entschädigung in einer konkreten und für einen Durchschnittsverbraucher leicht nachvollziehbaren Weise anzugeben sein, so dass dieser die Höhe der Vorfälligkeitsentschädigung anhand der in diesem Vertrag erteilten Informationen bestimmen kann.
- Angaben zum Schlichtungsverfahren: Im Kreditvertrag sind die wesentlichen Informationen über alle dem Verbraucher zur Verfügung stehenden außergerichtlichen Beschwerde- oder Rechtsbehelfsverfahren und gegebenenfalls die mit diesen Verfahren verbundenen Kosten, darüber, ob die Beschwerde oder der Rechtsbehelf per Post oder elektronisch einzureichen ist, über die physische oder elektronische Adresse, an die die Beschwerde oder der Rechtsbehelf zu senden ist, und über die sonstigen formalen Voraussetzungen, denen die Beschwerde oder der Rechtsbehelf unterliegt, anzugeben. Was diese Informationen betrifft, reicht ein bloßer Verweis im Kreditvertrag auf eine im Internet abrufbare Verfahrensordnung oder auf ein anderes Schriftstück oder Dokument, in dem die Modalitäten der außergerichtlichen Beschwerde- und Rechtsbehelfsverfahren festgelegt sind, nicht aus.
- Verteidigung der Banken mit Verwirkung und Rechtsmissbrauch: Dazu stellt der EuGH nochmals fest, dass die Bank einen Widerruf auch Jahre nach Abschluss des Vertrags hinnehmen muss. Es ist eine gewollte Sanktion für fehlerhafte Informationen. Kreditgeber*innen können der Ausübung des Widerrufsrechts durch Verbraucher*innen den unionsrechtlichen Einwand des Rechtsmissbrauchs nicht allein mit der Begründung entgegenhalten, dass seit Vertragsschluss bereits ein erheblicher Zeitraum verstrichen ist, sofern die erforderlichen Informationen von Kreditgebern*innen nicht vorgelegt wurden.
Den genannten Anforderungen genügt kaum ein Darlehensvertrag deutscher Banken. Aus unserer Praxis ist uns aktuell kein Verbraucherdarlehensvertrag einer deutschen Bank bekannt, die diesen Anforderungen des EuGH genügt. Die Ausführungen des EuGH zur Verwirkung und Rechtsmissbrauch begründen, wieso durch nationales Recht die europäischen Vorgaben niemals unterlaufen werden dürfen. Das Verbraucherschutzrecht gilt absolut und grundsätzlich uneingeschränkt.
Deutsche Rechtsprechung und Autokreditwiderruf
Das oberste europäische Gericht hatte bereits im März 2020 zum Thema Widerruf verbraucherfreundlich geurteilt und entschieden, dass Klauseln in Kreditverträgen, die einen sogenannten Kaskadenverweis enthalten, unzulässig sind (EuGH, Urteil vom 26.03.2020, Az. C-66/19). Daraufhin hat der Bundesgerichtshof mit Beschluss vom 31.03.2020 (Az. XI ZR 198/19) bezüglich eines Autokredits entschieden, dass die Argumentation des EuGH nur dann greife, sofern sich die Bank nicht auf die sogenannte Gesetzlichkeitsfiktion berufen kann. Das bedeutet: Hat eine Bank das gesetzliche Muster für die Information über das Widerrufsrecht verwendet, gilt die Widerrufsinformation als richtig.
Beim Thema Kreditwiderruf wurden Stimmen immer lauter, wonach der zuständige Bankensenat des Bundesgerichtshofes entscheidungserhebliche Rechtsfragen dem Europäischen Gerichtshof zur Klärung vorlegen solle. Jedoch machten die Richter*innen des Bundesgerichtshofes von der Möglichkeit einer Vorlage an den Europäischen Gerichtshof keinen Gebrauch. Die Urteile vom 09.09.2021 verdanken Verbraucher*innen nicht zuletzt dem Landgericht Ravensburg, das dem EuGH strittiger Rechtsfragen mehrerer Fälle zum Kreditwiderruf vorlegte; diese sind nun auf höchster europäischer Ebene geklärt. Uns war es gelungen, das Landgericht Ravensburg zu einer Vorlage zum EuGH zu bewegen (LG Ravensburg, Beschluss vom 7.1.2020 – 2 O 315/19), weitere Vorlagen folgten daraufhin.
Mit mehreren Vorlagen beim EuGH zum Autokreditwiderruf zeigte das Landgericht Ravensburg klare Kante gegenüber der zuletzt eher bankenfreundlichen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes (BGH). Mit seinen Urteilen zum Widerrufsrecht stärkt der EuGH die Rechte der Verbraucher*innen. Es gilt, dass Darlehensverträge auch Jahre nach Vertragsschluss aufgrund unzureichender Pflichtangaben in den Widerrufsbelehrungen widerrufbar sind. Der BGH hat sich nun der klaren Ansage aus Luxemburg zu beugen und wird seine bisherige Rechtsprechung korrigieren müssen. Ausgenommen von der verbraucherfreundlichen EuGH-Rechtsprechung sind lediglich Immobilienkreditverträge.
Informationen zum Datenschutz finden Sie unter https://akh-h.de/datenschutz/.