Institut für Kulturelle Teilhabeforschung (IKTf)
Pandemie wirft Kulturelle Teilhabe in Berlin zurück: Neue Daten zu Kulturbesuchen, Freizeitaktivitäten und digitalen Angeboten in Zeiten von COVID-19
Berlin (ots)
Wie hat sich das Kulturbesuchs- und Freizeitverhalten durch COVID-19 verändert? Wie werden die in Pandemiezeiten geschaffenen digitalen Kulturangebote bewertet und genutzt? Und welchen Einfluss hat die Pandemie letztendlich auf den Kulturbereich und die Kulturelle Teilhabe in Berlin? Zu diesen und anderen Fragen legt das Institut für Kulturelle Teilhabeforschung (IKTf) jetzt zwei neue Studien vor. Die Daten stammen zum einen aus der repräsentativen Bevölkerungsbefragung (Juni/Juli 2021), die von der Senatsverwaltung für Kultur und Europa gefördert und seit 2019 alle zwei Jahre durchgeführt wird. Zum anderen basieren die Analysen auf regelmäßig durchgeführten Befragungen von Besucher*innen Berliner Kultur- und Freizeiteinrichtungen. Sie liefern Erkenntnisse, wie sich das Publikum im Zeitverlauf vor und während der Pandemie verändert hat und werden im Rahmen des dauerhaften IKTf-Forschungsprojekts KulMon® erhoben.
Zentrale Ergebnisse (Auswahl):
Die COVID-19-Pandemie hat die ungleichen Chancen bei der Teilhabe an Kulturangeboten verstärkt
Wiederbesuchsabsichten nach der Pandemie hegt vor allem das Stammpublikum. Wer Kulturangebote vor der Pandemie nicht sehr wahrscheinlich besucht hat, wird sie in Zukunft noch weniger wahrscheinlich besuchen. Ein pandemiebedingtes Wegfallen von Publikumsanteilen gerade bei denjenigen, die ohnehin bereits unterrepräsentiert waren, ist für die Kulturelle Teilhabe in der Hauptstadt keine gute Nachricht: COVID-19 hat die soziale Ungleichheit im Publikum noch verschärft. Viele Bemühungen im Kulturbereich um gerade diese Bevölkerungsgruppen sind durch Corona besonders stark zurückgeworfen worden. Um auch diejenigen als Publikum (wieder) zu gewinnen, die nicht zur Kernbesucher*innenschaft gehören, wäre ein Konzept mit geeigneten Programmen sowie Vermittlungsmaßnahmen und Angeboten der Kulturellen Bildung denkbar. Dabei geht es nicht primär um ein "Mehr" an Förderung, sondern vielmehr um die gezielte Vernetzung von Fördermaßnahmen und den in diesen Bereichen Aktiven in Berlin. So würde ein starkes und nachhaltiges Fundament geschaffen werden für alle Akteur*innen, die sich für die Kulturelle Teilhabe in der Hauptstadt einsetzen.
Das Publikum war vor COVID-19 überaltert und ist es auch weiterhin
Zu Beginn der Pandemie ging die Besuch*innenschaft vor allem über 60 Jahre (auch) bei vielen klassischen Kulturangeboten deutlich zurück. Bis zum Start der Impfungen und der flächendeckenden Einführung der Maskenpflicht blieb diese gesundheitlich vulnerable Gruppe den Kulturangeboten zunächst fern. Bis 2022 haben sich die Anteile der älteren Besucher*innen wieder erholt - die Altersverteilung hat wieder das prä-pandemische Niveau erreicht. Das mag auf den ersten Blick erfreulich klingen, ist allerdings für viele Kultureinrichtung ein Problem: Da ältere Menschen im Publikum prinzipiell überdurchschnittlich vertreten sind, schrumpft diese Publikumsgruppe im Zeitverlauf natürlicherweise. Später geborene Menschen rücken nämlich nicht zwangsläufig nach, da sie im fortschreitenden Alter nicht automatisch ein Interesse an Kulturangeboten entwickeln. Dieses Phänomen zeichnete sich auch bereits vor der Pandemie ab und führt auch nach ihrem Ende langfristig zum Wegfall einer großen Gruppe von Besucher*innen. Zu diskutieren ist, wie durch eine andere Programm- und Personalpolitik auch mehr Diversität im Publikum von Kultureinrichtungen geschaffen werden kann.
Der Kulturbereich erfuhr große Unterstützung während der Pandemie
Die von den Kultureinrichtungen während der COVID-19-Pandemie eingeführten Hygiene- und Sicherheitsmaßnahmen wurden ganz generell sehr positiv bewertet. Maskenpflicht oder Kapazitätsbeschränkungen wirkten somit - wenn überhaupt - nur für die Wenigsten besuchsverhindernd. Die COVID-19-Bestimmungen haben die Menschen vermutlich eher bestärkt, überhaupt noch Kulturangebote zu besuchen. Denn die meisten Berliner*innen haben das während der Pandemie eingeschränkte Kulturangebot sehr vermisst, eine große Mehrheit sorgt sich außerdem um seine Existenz in der Hauptstadt. Eine überwältigende Mehrheit befürwortet besondere Unterstützungsmaßnahmen für den Kulturbereich, insgesamt ist die Zufriedenheit der Berliner*innen mit dem Kulturangebot in ihrer Stadt ungebrochen. Dieser Rückhalt in der Bevölkerung zeigt, dass die vielfältigen Unterstützungsmaßnahmen für den Kulturbereich 2020 und 2021 breite Zustimmung gefunden haben. Zugleich drückt sich hier der Wunsch aus, die große Vielfalt von Kulturangeboten in der Hauptstadt weiterhin zu erhalten und auch die vor Ort lebenden Künstler*innen zu unterstützen. Für viele Kulturtätige besteht die durch die Pandemie ausgelöste Krisensituation auch nach Ablauf dieser Unterstützungsmaßnahmen weiter. Inzwischen stellen noch weitere gesellschaftliche Krisen den Kulturbereich vor große Herausforderungen.
Die Themen Diversität und Mitgestaltung haben an Bedeutung gewonnen
Pandemieunabhängig sind es vor allen anderen drei Hinderungsgründe, die für viele Berliner*innen einem Besuch insbesondere von klassischen Kulturangeboten entgegenstehen: Der Mangel an für sie interessanten Angeboten, der Mangel an Freizeit und Geld bzw. zu teure Eintrittspreise. Kostenfreier oder ermäßigter Eintritt allein wird auch in gesellschaftlichen Krisensituationen sehr wahrscheinlich nicht zu volleren Häusern führen, aber flankiert von zusätzlichen eventorientierten Bildungs- und Vermittlungsangeboten ist der Eintrittspreis eine geeignete Stellschraube, zusätzliche Anreize für den Besuch von klassischen Kulturangeboten zu setzen. Doch ist auch das bestehende Kulturangebot zu reflektieren, denn es entspricht anscheinend für Teile der Bevölkerung nicht per se ihren Interessen. An zwei Stellen kann angesetzt werden, um die Angebote für breite Bevölkerungsgruppen zugänglicher zu machen: Erstens haben Themen wie (herkunftskulturelle) Diversität und Inklusion bei klassischen Kulturangeboten für die Berliner*innen seit 2019 deutlich an Bedeutung gewonnen. Dies zeigt, wie relevant Fördermaßnahmen und Beratungsangebote sind, die den Kulturbereich bei der Erweiterung seiner Diversitätskompetenz unterstützen. Zweitens wird die Möglichkeit zur Ko-Kreation, also sich bei Angeboten bzw. Programmen aktiv einzubringen, von einem schnell wachsenden Anteil der Berliner Bevölkerung als wichtig wahrgenommen. Eine solche Mitgestaltung kann an vielen Stellen ansetzen, von der Beratung bei zielgruppenorientierten Kommunikationsmaßnahmen bis zur Mitentscheidung bereits bei der Programmauswahl.
Künstlerisch-kreative Freizeitaktivitäten nehmen zu
In der Pandemie weiteten diejenigen Berliner*innen künstlerisch-kreative Aktivitäten überdurchschnittlich aus, die sonst eher wenig wahrscheinlich zu den Kulturbesucher*innen zählen. Gleichzeitig waren es in der Tendenz vor allem Berliner*innen mit niedrigem formalen Bildungsabschluss (Realschule oder niedriger), die stärker als zuvor künstlerisch-kreative Tätigkeiten, darunter beispielsweise kreatives Schreiben oder Zeichnen/Malen, aufnahmen. Es ist daher zu diskutieren, wie die Amateurkultur noch stärker in den Förderfokus genommen werden kann. Ansätze wären hier beispielsweise eine stärkere Zusammenarbeit mit oder eine Öffnung von klassischen Kultureinrichtungen für Laiengruppen, Kunstvereine oder andere zivilgesellschaftliche Akteur*innen. Zu prüfen wäre, ob die angestiegenen künstlerisch-kreativen Freizeitaktivitäten in der Bevölkerung auch durch die Stärkung von Volkshochschulen, Bibliotheken und Musikschulen, aber auch von Orten der Amateurkunstproduktion unterstützt und verstetigt werden könnte.
Das Potenzial von digitalen Kulturangeboten bleibt vorerst ungenutzt
Trotz COVID-19 ist bisher kein bedeutsamer Anstieg der Nutzungszahlen digitaler Angebote aus dem klassischen Kulturbereich feststellbar. Zudem wird die Nutzung nicht nur positiv bewertet: Nur etwa die Hälfte der Berliner*innen, die diese genutzt haben, gibt an, sie sehr genossen zu haben. Von ihnen positiv überrascht war ebenfalls nur rund die Hälfte. Eine Barriere bei der Nutzung digitaler Kulturangebote stellt für rund ein Viertel der Berliner*innen mangelndes Computerwissen und das nicht genutzte Internet dar. Für eine große Mehrheit der Berliner Bevölkerung wäre es außerdem eine Hürde, als Voraussetzung für die Nutzung digitaler Kulturangebote eine App installieren zu müssen. Auch diejenigen, die seit dem Lockdown 2020 Kultureinrichtungen tatsächlich wieder besucht haben, gaben in Besucher*innenbefragungen mit großer Mehrheit an, noch keine digitalen Angebote der besuchten Sparte genutzt zu haben. Da digitale Kulturangebote jedoch durch ihre Ortsunabhängigkeit das Potenzial haben, mobilitätsbedingte Teilhabebarrieren abzubauen, ist über verschiedene Kulturangebote hinweg über eine dauerhafte Bereitstellung und vor allem Weiterentwicklung dieser Angebote nachzudenken. Für diejenigen Kulturtätigen, die sich diesem Themenfeld widmen möchten, wäre eine zentrale Instanz hilfreich, die als Beratungsstelle digitale Angebote entwickelt und testet.
Die vollständigen Studien finden Sie hier: https://www.iktf.berlin/publikationen/
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