Technische Universität München
Giftig und aggressiv und doch viel genutzt: Untersuchungen mit Neutronen beenden Wissenschaftsstreit über Struktur des Fluors
TECHNISCHE UNIVERSITÄT MÜNCHEN
Corporate Communications Center
Tel.: +49 89 289 10510 - E-Mail: presse@tum.de
Dieser Text im Web: https://www.tum.de/die-tum/aktuelles/pressemitteilungen/detail/article/35306/
Bildmaterial in hoher Auflösung: https://mediatum.ub.tum.de/1482593
PRESSEMITTEILUNG
Giftig und aggressiv und doch viel genutzt
Untersuchungen mit Neutronen beenden Wissenschaftsstreit über Struktur des Fluors
In Zahnpasta, Teflon, LEDs und Medikamenten zeigt es seine positiven Seiten - doch elementares Fluor ist extrem aggressiv und hochgiftig. Versuche, die Kristallstruktur von festem Fluor mit Röntgenstrahlen zu bestimmen, endeten vor 50 Jahren mit Explosionen. Mit Neutronen der Forschungs-Neutronenquelle Heinz Maier Leibnitz (FRM II) ist es einem Forschungsteam nun gelungen, die tatsächliche Struktur des Fluors aufzuklären.
Fluor ist das reaktivste chemische Element und zudem sehr giftig. Gleichzeitig wird es aber in vielen Bereichen verwendet. Beim ersten Versuch, die Atomabstände von festem Fluor zu bestimmen, verwendete ein Forschungsteam in den USA im Jahr 1968 Röntgenstrahlen. Eine schwierige Aufgabe, denn Fluor wird erst bei etwa minus 220 °C fest. Und schon beim Abkühlen des aggressiven Elements kam es zu Explosionen.
Chemie-Nobelpreisträger Linus Pauling zweifelte die Ergebnisse des Teams 1970 an und schlug ein alternatives Strukturmodell vor - den experimentellen Nachweis aber blieb er schuldig. Auch kein anderer Chemiker wagte sich 50 Jahre lang an die heikle Aufgabe.
Mithilfe von Neutronen aus der Forschungs-Neutronenquelle Heinz Maier-Leibnitz in Garching gelang es nun Wissenschaftlern der Universität Marburg, der Technischen Universität München (TUM) und der Aalto Universität Finnland, die Struktur aufzuklären.
Neutronen als ideale Sonde
Neutronen sind besonders gut geeignet, Fluoratome präzise zu lokalisieren. Weil Neutronen außerdem auch dickwandige Probenbehälter durchdringen können, waren sie für Professor Florian Kraus und sein Team aus Marburg die Methode der Wahl. Unterstützt wurden sie bei ihren Untersuchungen am Pulverdiffraktometer SPODI im FRM II von TUM-Wissenschaftler Dr. Markus Hölzel und seinen Kollegen.
Für die Untersuchungen realisierten die Forscher einen speziellen Messaufbau, um das Fluor bei sehr tiefen Temperaturen untersuchen zu können. Dazu verwendeten sie Materialien, die besonders widerstandsfähig gegenüber Fluor sind und eine sichere Handhabung gewährleisten.
Anwendung in LEDs, Zahnpasta und Arzneimitteln
"Die extrem präzisen Messungen mit Neutronen sind wichtig, um Berechnungen für verschiedenste Anwendungen machen zu können", sagt Florian Kraus. "Bei anderen Elementen gibt es Kristallstrukturen in hoher Präzision bereits seit Jahren. So wurde die Kristallstruktur von Sauerstoff bereits 35 Mal untersucht und Kohlenstoff gar 108 Mal."
Doch auch Fluor ist aus dem Alltag nicht mehr wegzudenken. Fluoride werden unter anderem als Zusatz in Zahnpasta verwendet, es ist in Leuchtmitteln enthalten, die das kalte LED-Licht in ein warmes Weiß verwandeln. Auch in vielen Arzneimitteln setzt man Fluorverbindungen ein, um die Wirksamkeit zu erhöhen.
Neutronenmessungen bestätigen die Vermutung des Nobelpreisträgers
Auch wenn die Messungen aus den 1960er Jahren keine präzisen Werte hervorgebracht hatten, war Florian Kraus dennoch sehr überrascht über den großen Unterschied: "Mit den Neutronenmessungen konnten wir den Atomabstand um 70 Prozent genauer auflösen", sagt der Chemiker. "Und die Kristallstruktur zeigt, dass Nobelpreisträger Linus Pauling mit seinen Zweifeln recht hatte."
Publikation:
The Crystal Structures of alpha- and beta-F2 revisited
Sergei I. Ivlev, Antti J. Karttunen, Markus Hoelzel, Matthias Conrad, Florian Kraus
Chemistry - A European Journal, 06.01.2019, DOI: 10.1002/chem.201805298;
Link: https://onlinelibrary.wiley.com/doi/abs/10.1002/chem.201805298
Weitere Informationen:
Gefördert wurde die Arbeit aus Mitteln der Deutschen Forschungsgemeinschaft und des Deutschen Akademischen Austauschdienstes. Die neutronendiffraktometrischen Messungen wurden am Pulverdiffraktometer SPODI der Forschungs-Neutronenquelle Heinz Maier-Leibnitz durchgeführt. Theoretische Berechnungen wurden am Finnish IT Center for Science (CSC) durchgeführt.
Frühere Publikation der Arbeitsgruppe Kraus zum Thema Fluor:
https://www.tum.de/die-tum/aktuelles/pressemitteilungen/detail/article/29962/
Kontakt:
Dr. Markus Hölzel
Instrumentwissenschaftler SPODI
Forschungs-Neutronenquelle Heinz Maier-Leibnitz (FRM II)
Technische Universität München
Lichtenbergstr. 1, 85748 Garching
Tel.: +49 89 289 14314 - E-Mail: markus.hoelzel@frm2.tum.de
Web: https://mlz-garching.de/spodi/de
Prof. Dr. Florian Kraus
Anorganische Chemie - Fluorchemie
Philipps-Universität Marburg
Hans-Meerwein-Straße 4, 35032 Marburg
Tel.: +49 6421 282 6668 - E-Mail: f.kraus@uni-marburg.de
Web: https://www.uni-marburg.de/de/fb15/arbeitsgruppen/ag-kraus
Die Technische Universität München (TUM) ist mit rund 550 Professorinnen und Professoren, 42.000 Studierenden sowie 10.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern eine der forschungsstärksten Technischen Universitäten Europas. Ihre Schwerpunkte sind die Ingenieurwissenschaften, Naturwissenschaften, Lebenswissenschaften und Medizin, verknüpft mit den Wirtschafts- und Sozialwissenschaften. Die TUM handelt als unternehmerische Universität, die Talente fördert und Mehrwert für die Gesellschaft schafft. Dabei profitiert sie von starken Partnern in Wissenschaft und Wirtschaft. Weltweit ist sie mit dem Campus TUM Asia in Singapur sowie Verbindungsbüros in Brüssel, Kairo, Mumbai, Peking, San Francisco und São Paulo vertreten. An der TUM haben Nobelpreisträger und Erfinder wie Rudolf Diesel, Carl von Linde und Rudolf Mößbauer geforscht. 2006 und 2012 wurde sie als Exzellenzuniversität ausgezeichnet. In internationalen Rankings gehört sie regelmäßig zu den besten Universitäten Deutschlands. www.tum.de