Bain-Studie "Vom Automobilbauer zum Mobilitätsdienstleister": Veränderte Mobilitätsbedürfnisse schaffen neue Geschäftsfelder
München (ots)
- In den Ballungszentren der Industrie- und Schwellenländer entsteht neuer Bedarf an alternativen und integrierten Mobilitätsangeboten - Neue Geschäftsfelder entstehen "downstream" in der Wertschöpfungskette - Car Sharing erreicht weltweit Wachstumsraten von 40 Prozent und die Hersteller steigen bereits in dieses Geschäftsfeld ein - Automobilbauer müssen die neuen Mobilitätsdienstleistungen in ihr Kerngeschäft integrieren, vernetzte Ansätze fehlen bislang jedoch weitgehend
Eine Reihe von Trends wie strengere Umweltauflagen und ein verändertes Nachfrageverhalten führen dazu, dass in Zukunft immer mehr Großstädter auf alternative Mobilitätsangebote ausweichen und kein eigenes Auto besitzen werden. Das ist das Ergebnis der Studie "Vom Automobilbauer zum Mobilitätsdienstleister" der Strategieberatung Bain & Company. Die Studie zeigt aber auch, dass Städter dennoch nicht auf individuelle Mobilität verzichten wollen. Viele Automobilhersteller haben ihre Chance auf die Erschließung neuer Geschäftsfelder erkannt und pilotieren derzeit ergänzende Angebote wie Car Sharing oder kombinierte Dienste bis hin zur Mobilitätskarte. Allerdings haben die wenigsten Hersteller schon Geschäftsmodelle etabliert, die die Möglichkeiten der neuen Mobilität und ihr traditionelles Kerngeschäft mit Neuwagen, Ersatzteilen, Service und Finanzdienstleistungen vernetzen.
Die Automobilindustrie erfährt derzeit tiefgreifende Veränderungen: Neue Technologien wie der Elektroantrieb und Karbonkarosserien werden marktfähig; daneben kommen strengere Anforderungen an Emissionen und Verbrauch auf die Branche zu und in Metropolen wird der individuelle Verkehr eingeschränkt oder durch Auflagen erschwert. Dadurch verändert sich die Kundennachfrage und es entstehen neue Geschäftsfelder - insbesondere für die urbane Mobilität.
Neue Mobilität: Chance oder Risiko für die Hersteller?
Neu entstehende Geschäftsfelder wie Car Sharing, Elektromobilität, mobile Dienstleistungen und intermodale Mobilität können profitabel betrieben werden und eröffnen erhebliche Wachstumschancen und langfristig auch großes Ertragspotenzial für die Hersteller. Gleichzeitig drängen neue Spieler aus angrenzenden Bereichen in diese Geschäftsfelder wie zum Beispiel Autovermieter oder Car-Sharing-Spezialisten bis hin zu etablierten Technologiekonzernen wie Google oder Apple, die etwa über Apps Kunden an sich binden. Die Automobilbauer laufen dadurch Gefahr, die Schnittstelle zum Endkunden und damit die strategische Kontrolle zu verlieren. Die Herausforderung für die Hersteller liegt darin, traditionelle Pfade zu verlassen und vorhandenes Know-how völlig neu einzusetzen. Sie sind gefordert, diese neuen Angebote mit ihrem traditionellen Geschäftsmodell zu vernetzen. "Eine Aufgabe, die in der Branche größtenteils ungelöst ist", so Automobil-Experte Dr. Klaus Stricker, Partner bei Bain & Company. "Die Automobilhersteller müssen jetzt richtungsweisende Entscheidungen treffen, um ihr Geschäftsmodell auch für die Zukunft optimal und nachhaltig aufzustellen."
Die aktuelle Studie "Vom Automobilbauer zum Mobilitätsdienstleister" von Bain & Company hat Trends, die zur Veränderung der urbanen Mobilitätsbedürfnisse führen, neue Geschäftsmodelle sowie integrative und innovative Strategien für die Automobilhersteller untersucht. Weiterhin analysiert die Studie neue Mobilitätsservices und -modelle und zeigt prinzipielle Möglichkeiten des Engagements für die Automobilhersteller auf.
Mobilitätsdienstleistungen mit hohem Wachstum
"Obwohl der traditionelle Automarkt vor allem durch die hohe Dynamik in den Schwellenländern wächst, gibt es in den Städten deutlich erkennbare Trends, die vom eigenen Auto über das 'geteilte' Auto bis zur vernetzten Mobilität reichen", so Bain-Experte Stricker. Eine Entwicklung, die sich aufgrund der fortschreitenden Urbanisierung noch verschärfen wird: Bis 2020 werden rund 55 Prozent der Weltbevölkerung in urbanen Ballungszentren leben, 1995 waren es nur 45 Prozent. Doch schon heute fehlt es gerade in den Metropolen an Verkehrsinfrastruktur und Parkplätzen für das Fahren mit dem eigenen Auto. Daneben verliert das Auto als Statussymbol insbesondere unter Jüngeren in den Metropolen an Bedeutung: Bereits für 22 Prozent der heute 18- bis 25-Jährigen in Deutschland steht beim Auto der funktionale Nutzen im Vordergrund, die emotionale Bindung nimmt also ab. Zudem gibt es mehr und mehr lokale Richtlinien, die den Besitz oder Gebrauch von Autos unattraktiver machen, etwa durch Gebühren für die Londoner City oder die beschränkte Ausgabe von Autozulassungen in Shanghai und Peking. Diese Trends zeigen sich bereits in Zahlen: Bei den Mobilitätsdiensten erreicht Car Sharing Wachstumsraten von bis zu 40 Prozent, wenngleich auf einer noch sehr geringen Basis.
Nach Bain-Analysen haben die traditionellen Automobilhersteller noch höchstens 18 Monate, um integrierte Geschäftsmodelle zu entwickeln. Denn um beispielsweise das Potenzial der Elektromobilität auszuschöpfen, müssen auch Lösungen für Batterieleasing, "grünen Ladestrom", die so genannte intelligente "Wallbox" und eine funktionierende Ladeinfrastruktur bereitgestellt werden. Bereits heute tummeln sich auf diesem Markt Newcomer, wie das "Mobility House" in Salzburg, die sich den Herstellern als Partner mit schnellen, pragmatischen Ansätzen anbieten.
"Der Mobilitätsmarkt ist grundsätzlich interessant und wächst schnell, löst aber das bisherige Geschäftsmodell der Automobilindustrie nicht ab", sagt Bain-Experte Stricker. "Neue Strategien rund um individuelle Mobilität sollten deshalb das Kerngeschäft ergänzen und die bestehenden Strukturen nutzen, wie zum Beispiel das Händlernetz oder Beziehungen zu Geschäftskunden."
Bisher kaum umfassende Ansätze
Viele Automobilhersteller haben bereits eigene Pilotprojekte zu Car Sharing und kombinierbaren Mobilitätsdiensten gestartet: Der französische PSA-Konzern testet mit seiner Marke Citroën ein umfangreiches Mobilitätsangebot, bei dem die Automarke als Mobilitäts- und Reiseagentur fungiert. Solche Angebote - auch von deutschen Herstellern - sind bisher jedoch nur fragmentiert vorhanden und kaum in die Kerngeschäftsprozesse der Automobilhersteller integriert. Daimler bietet mit "Car2Go" Car Sharing in Ulm, Hamburg und Austin (Texas) an. BMW ist mit "DriveNow" in München und Berlin präsent und VW startet mit "Quicar" in Hannover. Berater Stricker: "Diese Projekte müssen im nächsten Schritt zu einem integrierten Ansatz weiterentwickelt werden, der die gesamte Bandbreite der neuen Mobilitätsangebote umfasst und sie systematisch mit dem existierenden Kerngeschäft verbindet."
Die Bain-Studie identifiziert vier Normstrategien für die Automobilhersteller, sich im Feld der neuen Mobilität zu positionieren:
- Der "integrierte Mobilitätsdienstleister" bietet alles aus einer Hand und erbringt sämtliche Leistungen selbst. Mit diesem Konzept kann der Automobilhersteller die neuen und traditionellen Geschäftsbereiche vernetzen und Synergien optimal nutzen. Dies erfordert aber auch die höchsten Investitionen und birgt ein größeres Risiko, da ein Unternehmen komplett eigenständigen in völlig neue Geschäftsfelder einsteigt.
- Der "Vermittler" bietet ebenfalls alles aus einer Hand, nutzt aber überwiegend Kooperationspartner. So kann er die Kosten und die Vielfalt der benötigten Kompetenzen besser managen. Vermittler müssen jedoch bedeutende Teile der Wertschöpfung aus der Hand geben und haben es dadurch schwerer, eine nahtlos positive Kundenerfahrung durch ihre eigenen Services sicherzustellen.
- Der "Selektierer" arbeitet spezifisch; er bietet nur ausgewählte Dienstleistungen für die unterschiedlichen Kundensegmente an. Mit dieser Strategie nutzt er nicht alle neu entstehenden Geschäftspotenziale, kann jedoch in ausgewählten Bereichen durch passgenaue Services punkten.
- Der "Minimalist" bietet nur solche Mobilitätsdienstleistungen an, die im Hinblick auf die sich wandelnden Kundenbedürfnisse zum Standard in der Automobilbranche gehören werden. So bleiben die Umsetzungsrisiken überschaubar, allerdings sind auch die Ertragschancen geringer.
Die Hersteller müssen sich entscheiden, in welchem Segment der modernen Mobilität sie sich in Zukunft engagieren wollen und wie sie das in ihre bestehenden Strukturen und Kompetenzen integrieren können. "Entscheidend für den Erfolg einer integrierten Mobilitätsstrategie ist die Nähe zum eigentlichen Kerngeschäft des Herstellers", sagt Klaus Stricker. "Nah an den Kernkompetenzen liegende Leistungen kann er selbst erbringen, weiter entfernt liegende sollten gemeinsam mit Partnern angeboten werden."
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Leila Kunstmann-Seik
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