Gesellschaft für bedrohte Völker e.V. (GfbV)
Rückfall in die Zeiten des Diktators Pinochet: Minderheiten und Demokraten in Chile kämpfen um Freiheit und Gerechtigkeit
Polizeigewalt bei Demonstrationen in Chile:
- Laut INDH mindestens fünf Tote und 584 Verletzte - Indigene Mapuche besonders von Polizeigewalt betroffen - UN-Hochkommissarin für Menschenrechte entsendet Beobachtermission
Die Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) beobachtet in Chile eine Atmosphäre von Angst und Chaos. "Seit dem Ausbruch der Unruhen vor einer knappen Woche wurden mindestens fünf Menschen getötet", beklagt Yvonne Bangert, GfbV-Referentin für indigene Völker. Nach Angaben des Nationalen Instituts für Menschenrechte (INDH) wurden 584 Menschen verletzt, 245 davon durch Schusswaffen. Währenddessen seien 2.686 Personen verhaftet worden, davon 297 Kinder und Jugendliche. "Manch ältere Chilenen fühlen sich an die Zeiten der Diktatur unter Augusto Pinochet erinnert", so Bangert. Während der Militärdiktatur von 1973 bis 1990 patrouillierten regelmäßig Soldaten in den Straßen der Städte.
Auch in der Hauptstadt der Region Araucanía Temuco wurden Demonstrationen von der Polizei mit Tränengas und Gummigeschossen angegriffen. "Temuco ist das Zentrum der Mapuche, die mit mehr als einer Million Menschen die größte indigene Bevölkerungsgruppe Chiles sind", erklärt Bangert. Sie stellten fast zehn Prozent der Gesamtbevölkerung, würden diskriminiert und unterdrückt. Immer wieder würden sie auf Grundlage des international geächteten Antiterrorgesetzes vor Gericht gestellt. Dieses Gesetz ermöglicht Untersuchungshaft über Monate oder gar Jahre. "Dafür genügen Aussagen anonymer Zeugen, die die Verteidigung eines Angeklagten nicht überprüft kann. Und dieses Vorgehen wird nur gegen Mapuche angewendet", so Bangert. Das INDH berichtet zudem über Vorwürfe der Folter und demütigender, sexistischer Behandlung von Gefangenen durch die Sicherheitskräfte.
Dass Präsident Piñera nun die Fahrpreiserhöhungen zurücknehme und einräume, die Situation falsch eingeschätzt zu haben, komme zu spät. Denn die sozialen Verwerfungen in Chile seien grundlegend: "Das durchschnittliche Monatseinkommen in Chile liegt bei rund 500 Euro. Für 60 Prozent der Haushalte reicht das nicht bis zum Monatsende", erläutert Yvonne Bangert. "Für die Mapuche als Ärmste der Armen sind die Folgen von Landverlust und Zerstörung ihrer kulturellen Wurzeln daher dramatisch". Dazu litten sie besonders unter der Willkür der Sicherheitskräfte, die für ihr Handeln nur selten zur Rechenschaft gezogen würden.
"Die Bundesregierung sollte die Unruhen zum Anlass nehmen, die Menschenrechtsverletzungen im ganzen Land und insbesondere in der Araucanía zu untersuchen und bei der Regierung auf Rechtsstaatlichkeit zu drängen", fordert Bangert. Die ehemalige Präsidentin Chiles und derzeitige UN-Hochkommissarin für Menschenrechte Michelle Bachelet verkündete am gestrigen Donnerstag, eine unabhängige internationale Beobachterkommission zu entsenden. Sie soll Anschuldigungen von Menschenrechtsverletzungen während der Proteste untersuchen.
Sie erreichen Yvonne Bangert unter y.bangert@gfbv.de oder 0551 49906-14.
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