Gesellschaft für bedrohte Völker e.V. (GfbV)
Alawiten in Syrien: Angst vor islamistischen Racheakten
Die Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) warnt vor drohender Gewalt gegen Angehörige der alawitischen Glaubensgemeinschaft in Syrien. Die neuen islamistischen Machthaber führen Razzien in alawitischen Ortschaften im Westen des Landes durch. Die Alawiten, zu denen auch der gestürzte Diktator Assad gehörte, bilden dort die Mehrheit und besiedeln das Gebiet seit Jahrhunderten. Nach Angaben der in Großbritannien ansässigen GfbV-Partnerorganisation „Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte“ (SOHR) sollen sunnitische Islamisten seit Assads Sturz am 8. Dezember 2024 mindestens 157 Menschen erschossen haben, die meisten davon Alawiten. Mehr als 9.000 Alawiten sollen in einem Gefängnis im zentralsyrischen Hama und in einem weiteren bei Damaskus inhaftiert sein. „Diese Alawiten sind Angehörige der syrischen Armee, die ohne konkreten Grund festgehalten werden. Es besteht die Gefahr, dass die Islamisten sie foltern“, berichtete GfbV-Nahostreferent Dr. Kamal Sido heute in Göttingen. „Racheakte der neuen islamistischen Machthaber beänstigen die alawitische Gemeinschaft. Sie können zu einem bewaffneten Aufstand führen, der das Land weiter destabilisieren würde.“
Wegen Racheakten sunnitischer Islamisten, die vom NATO-Mitglied Türkei unterstützt werden, wollen Kurden, Drusen und Angehörige anderer Volksgruppen ihre Waffen nicht abgeben. Viele Kommandeure der Milizen, die jetzt in Syrien an der Macht sind, kämpften jahrelang in den Reihen des sogenannten „Islamischen Staates“ (IS). „Deshalb ist es gefährlich, die Aufarbeitung der Verbrechen an der syrischen Bevölkerung unter Assad in die Hände dieser Islamisten zu legen. Kriegsverbrecher können keine Kriegsverbrechen aufklären. Sie können sich nur rächen. Erfahrungen aus anderen Teilen der Welt zeigen, dass solche Racheakte in schlimmste Verbrechen bis hin zum Völkermord münden können. Nur eine unabhängige Justiz kann eine Aufarbeitung leisten, die auch die zahlreichen Kriegsverbrechen der Islamisten an Kurden, Armeniern, Assyrern/Aramäern, Alawiten, Drusen, Christen und Yeziden berücksichtigt“, erklärte Sido.
Die deutsche Bundesregierung, die seit Jahren gute Kontakte zu Islamisten in Syrien pflegt, dürfe die regierenden Islamisten nicht verharmlosen und müsse sich für ein Ende ihrer Racheaktionen einsetzen. Die alawitische Gemeinschaft müsse ihren Platz im zukünftigen Syrien haben. Gemeinsam mit Kurden, Drusen und andere Minderheiten bilden sie ein Gegengewicht zu konservativen Sunniten, die ein islamistisches Regime wollen. Die syrischen Alawiten teilen wie die Aleviten in der Türkei die universellen Werte der Menschenrechte, der Glaubensfreiheit und der Gleichberechtigung von Mann und Frau. Konservative Machthaber wie Erdogan in der Türkei lehnen diese Werte ab.
Auch wenn es Unterschiede in den Traditionen gibt, verbindet die Alawiten in Syrien mit den Aleviten in der Türkei eine lange Leidensgeschichte. Immer wieder wurden sie von ihren sunnitischen Nachbarn verfolgt und massenhaft ermordet. Wenn sich das in Syrien fortsetzt, droht der Konflikt auch auf Deutschland überzugreifen. Mindestens 800.000 Aleviten leben hier. Die meisten stammen aus der Türkei, wo es etwa 20 Millionen Aleviten gibt.
Sie erreichen Dr. Kamal Sido unter k.sido@gfbv.de oder 0173/6733980.
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