Gesellschaft für bedrohte Völker e.V. (GfbV)
Lage der Minderheiten in Syrien angespannt: Menschenrechtler warnen vor Verharmlosung der Islamisten
Die Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) warnt vor einer Verharmlosung der neuen syrischen Machthaber angesichts der zunehmenden Hinweise, dass diese ein islamistisches Regime errichten wollen. „Wir begrüßen es, wenn deutsche Politikerinnen und Politiker nach Syrien reisen, um sich vor Ort über die aktuelle Lage zu informieren. Sie haben jedoch die Verantwortung, sich ein umfassendes Bild zu machen und eine Verharmlosung der islamistischen Machthaber zu vermeiden. Dafür ist es wichtig, dass sie die Ängste der Kurden, Armenier, Assyrer/Aramäer, Alawiten, Drusen, Christen, Ismailiten und Yeziden vor der HTS-Miliz und anderen islamistischen Milizen sowie vor der Ideologie des politischen Islam ernst nehmen“, sagt der GfbV-Nahostreferent Dr. Kamal Sido.
Zuletzt berichtete die Europaabgeordnete der Grünen, Hannah Neumann, über ihre Syrien-Reise und vermittelte dabei den Eindruck, in Damaskus könnten die Menschen frei sprechen. „Es ist wichtig, klarzustellen, dass das nicht für alle Menschen gilt – vor allem Angehörige von Minderheiten werden in Syrien durch die Übergangsregierung verfolgt und schikaniert. In Telefonaten mit Menschen in Damaskus erlebe ich immer wieder, dass sie Angst haben, sich kritisch über die islamistischen Machthaber zu äußern. Außerhalb von Damaskus ist die Lage oftmals noch angespannter. Seit dem Sturz des Assad-Regimes hat sich vor allem eins geändert: vor wem die Menschen Angst haben“, berichtet der aus Nordsyrien stammende Menschenrechtler.
„Die Hinweise häufen sich, dass der Anführer der islamistischen HTS-Miliz, Ahmed al-Scharaa (Abu Mohammed al-Golani), der sich illegal zum Übergangspräsidenten erklärt hat, seine Versprechen einer moderaten Regierungsführung nicht hält und sich entgegengesetzt verhält. Vor allem in Gebieten wie in der Provinz Homs morden, entführen und plündern die HTS-Mitglieder. Davon sind vor allem die dort lebenden Angehörigen der alawitischen Minderheit und christlicher Gemeinschaften betroffen“, warnt der Nahostreferent.
In der Provinz Hama, die an das Kerngebiet der Alawiten an der syrischen Mittelmeerküste angrenzt und in der Christen und Ismailiten leben, hat der neue islamistische Machthaber al-Scharaa den Kriegsverbrecher Mohammad Hussein al-Jasim (alias Abu Amsha) zum Kommandeur der 25. Division ernannt. Er führte eine der berüchtigten Milizen in Syrien an: die „Sultan Murad Fraktion“. Er und seine Miliz sind für zahlreiche Kriegsverbrechen wie Morde, Vergewaltigungen, Entführungen, Raub und Plünderungen vor allem in der syrisch-kurdischen Region Afrîn und anderen Gebieten Nordsyriens verantwortlich. Dafür wurden er und seine Miliz von den USA sanktioniert. Für seine Dienste für den türkischen Machthaber Erdoğan wurde er mit der türkischen Staatsbürgerschaft belohnt. Er rekrutierte für Erdoğan Kämpfer gegen die Armenier im Südkaukasus, aber auch für dessen Kriege in Afrika. Ideologisch ist er nicht nur sunnitischer Islamist, sondern auch Anhänger der rassistischen Ideologie der türkischen „Grauen Wölfe“.
„Es besteht die akute Gefahr, dass Abu Amsha die beiden letzten relativ großen christlichen Ortschaften in der Provinz Hama, As-Suqailabiyya und Mhardeh, ähnlich wie die kurdische Region Afrîn verwüstet und die Bevölkerung durch Plünderungen und Raubzüge in die Flucht treibt. Diese Gefahr besteht auch für die weiter östlich gelegene Region Salamiyya“, berichtet Sido. As-Suqailabiyya hat etwa 19.000 Einwohnern (2010) und Mhardeh hat circa 30.000 Einwohnern. Salamiyya ist das Zentrum der syrischen Ismailiten mit rund 200.000 Menschen.
„n Nordsyrien sind viele Gebiete weiterhin von der Türkei besetzt oder werden von der Türkei und von ihr finanzierten islamistischen Milizen angegriffen. Wenn es um die Lage in Nordsyrien geht, müssen Politiker und Journalisten deutlich benennen, dass diese Angriffe völkerrechtswidrig sind und dass die Türkei dort den „Islamischen Staat“ (IS) und andere islamistische Gruppen stärkt, die nicht nur für Massenmorde an Minderheiten in der Region verantwortlich sind, sondern auch unsere Sicherheit in Deutschland gefährden“, sagt der Nahostreferent.
Sie erreichen Dr. Kamal Sido unter k.sido@gfbv.de oder 0173/6733980.
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