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Börsen-Zeitung: Lähmende Angst, Kommentar von Jürgen Schaaf zur Geldpolitik der Europäischen Zentralbank

Frankfurt (ots)

Was hält die Europäische Zentralbank (EZB) noch
davon ab, den Leitzins zu erhöhen? Zumindest die Daten sprechen klar 
für einen solchen Schritt. Die Inflation in der Eurozone ist auf dem 
höchsten Niveau seit der Einführung des Euro. Wenn morgen die neue 
EZB-Prognose vorgestellt wird, dürfte überdies klar werden, dass es 
noch eine ganze Weile dauert, bis die Teuerung wieder unter die 
Stabilitätsmarke von knapp unter 2% sinken wird. Zugleich wird das 
starke Wachstum des Bruttoinlandsprodukts (BIP) im ersten Quartal 
eine leicht höhere Prognose für das laufende Jahr erzwingen.
Aber auch die Bedingungen, die die Währungshüter sich selbst 
rhetorisch für eine Zinserhöhung gestellt haben, sind inzwischen 
weitgehend erfüllt: Die Inflationserwartungen sind gestiegen. Die 
laufenden Lohnverhandlungen sind zudem geprägt von dem Argument der 
drastisch gestiegenen Preise, wofür die Gewerkschaften einen 
Ausgleich fordern. Die Zweitrundeneffekte sind längst keine abstrakte
Bedrohung mehr.
Warum also legen die Währungshüter die Hände in den Schoß? Denn 
dass auf der morgigen Sitzung des geldpolitischen Gremiums der 
Schlüsselzins für den Euroraum unverändert bei 4% belassen wird, 
haben die Ratsmitglieder zuletzt deutlich signalisiert.
Einer der Gründe dürfte die Angst vor einem Politikfehler sein, 
welcher den Entscheidern in der Zukunft vorgehalten würde. Denn dass 
die Konjunktur in der Eurozone nicht bereits deutlich abgekühlt ist, 
wiederspricht jeder ökonomischen Logik. Krise an den Finanzmärkten, 
drohende Rezession in den USA, rekordstarker Euro - das Wachstum im 
Euroraum wird einbrechen. Die erwartete Wachstumsdelle hat dabei das 
Potenzial, die Inflation erheblich zu drosseln. Allerdings lässt 
dieser Effekt erstaunlich lange auf sich warten.
Wie würde die EZB dastehen, wenn sie nun die Zinsen erhöht, um 
dann vielleicht in einem halben Jahr einen Zinssenkungszyklus zu 
starten? Sprunghaftigkeit und Wankelmut wären das Mindeste, was man 
ihr vorwerfen würde. Ihr Image würde Kratzer bekommen. Und kaum etwas
ist für eine Zentralbank wichtiger als ihr Ruf. Diese Angst der 
Notenbanker vor dem Vorwurf des Politikfehlers lähmt. Und so dürfte 
der Leitzins im Euroraum nicht nur morgen, sondern wohl bis zum Ende 
des Jahres nicht mehr verändert werden.
(Börsen-Zeitung, 4.6.2008)

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