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Börsen-Zeitung: Das Zittern geht weiter, Kommentar zu den Finanzmärkten von Christopher Kalbhenn

Frankfurt (ots)

Wer nicht schwindlig ins Wochenende gegangen
ist, ist mit Sicherheit nicht in der Finanzbranche tätig. Was sich da
in nur einer Woche ereignet hat, ist in der Wirtschaftsgeschichte 
einmalig und in so kurzer Zeit fast nicht zu verarbeiten. Per 
Bankrott, Fusion und Verstaatlichung verschwinden reihenweise große 
Finanzinstitutionen von der Bildfläche bzw. verlieren ihre 
Unabhängigkeit. Die gesamte Finanzindustrie wird umgepflügt mit 
derzeit noch schwer vorstellbaren langfristigen Folgen für die 
Branche. Nicht zu beneiden sind die Akteure in den Handelssälen, die 
nicht nur um ihre Arbeitgeber bangen müssen, sondern auch noch mit 
heftigsten Kursschwankungen zu kämpfen haben.
"Wie geht es nun weiter?", fragen sich die Akteure an den 
Finanzmärkten, nachdem sie eine regelrechte Achterbahnfahrt der 
Gefühle erlebt haben. Zunächst drohte im Anschluss an die 
Lehman-Pleite der Crash, ehe die Gegenmaßnahmen von Notenbanken und 
Regierungen, darunter immense Liquiditätsspritzen, 
Börsenstabilisierungsmaßnahmen und insbesondere der Vorschlag des 
amerikanischen Finanzministers Henry Paulson, über einen Staatsfonds 
Banken notleidende Kredite abzukaufen, zuletzt zu einer kräftigen 
Gegenbewegung an den Aktienmärkten führten. Ihr Ausmaß war so stark, 
dass sie mehr unheimlich als beruhigend wirkte.
"Wie tief fallen wir?" Diese Überschrift im Strategieausblick 
einer deutschen Bank ist symptomatisch für die Stimmungslage an den 
Aktienmärkten. Etwas oberhalb von 5800 im Dax ist der Kursrutsch 
gestoppt worden, ehe der wie ein Befreiungsschlag wirkende Vorschlag 
des US-Finanzministers zu der Gegenbewegung auf fast 6200 Zähler 
führte. Es gibt durchaus gute Argumente für die Vermutung, dass die 
Aktienmärkte nun ihren Tiefpunkt gesehen haben oder zumindest eine 
vorübergehende Erholungsphase bevorsteht. So haben sich in der 
Geschichte der Börsen sehr häufig Situationen, in denen die 
Marktteilnehmer mit Horrornachrichten überschüttet wurden, im 
Nachhinein als Wendepunkte erwiesen. Zu erinnern ist hier an den 
Golfkrieg des Jahres 2003. Damals begann wenige Tage vor dem Ausbruch
der Feindseligkeiten der große Bullenmarkt, der bis in das 
zurückliegende Jahr anhielt. Darüber hinaus haben die Behörden 
weltweit an einigen Schwachpunkten angesetzt, die zuletzt maßgeblich 
für den Kurseinbruch verantwortlich waren. So sind nun Leerverkäufe 
in Finanzwerten in den USA und Großbritannien untersagt. Auch die vom
US-Finanzminister ventilierte große Lösung für notleidende Kredite 
könnte gerade bei den Finanzwerten nachhaltig stabilisierend wirken. 
Hinzu kommen die massenhaften Ausverkaufssignale, die die Märkte in 
den letzten Tagen gegeben haben. Sie zeigten Symptome der 
Kapitulation, so den Anstieg des Goldpreises um 100 Dollar in nur 36 
Stunden oder die auf nahezu null gefallene Rendite dreimonatiger 
T-Bills. Kapitulation gilt als Vorbote für eine Trendwende.
Im freien Fall
Doch Gewissheit kann das alles nicht geben. Denn die aktuelle Lage
ist einmalig und entzieht sich dem Versuch, ihrer durch historische 
Erfahrungen oder markttechnische Gesetzmäßigkeiten Herr zu werden. 
Sicher ist derzeit nur, dass das Zittern an den Finanzmärkten 
weitergeht. Die Krise ist noch lange nicht ausgestanden. Nach wie vor
befinden sich die Immobilienpreise in den USA im freien Fall, was 
weitere Probleme im Finanzsektor heraufbeschwören wird. An den 
Aktienmärkten muss jeden Tag damit gerechnet werden, dass neue 
Hiobsbotschaften aus der Branche eingehen, auch wenn jetzt vor dem 
Wochenende etwas Erleichterung geschaffen worden ist.
Schließlich weiß niemand so genau, welche Belastungen der 
Finanzsektor noch aushalten muss. Wie wird sich beispielsweise die in
ihrem Ausmaß bisher einmalige Kontraktabwicklung an den Kreditmärkten
auswirken, die von der Verstaatlichung der Hypothekenagenturen Fannie
Mae und Freddie Mac sowie der Insolvenz von Lehman Brothers 
losgetreten worden ist? Außerdem ist immer noch nicht einschätzbar, 
wie stark sich die Weltwirtschaft abschwächen wird. Auf eines können 
sich die Banker in den Handelssälen in den nächsten Wochen aber 
einstellen: nervenaufreibende, äußerst heftige Kursschwankungen.

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