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Börsen-Zeitung: Geduldsprobe, Kommentar zu den Kapitalmärkten von Christopher Kalbhenn

Frankfurt (ots)

Die Turbulenzen in der Finanzbranche und an den
Kapitalmärkten erfordern von den betroffenen Akteuren nicht nur einen
kühlen Kopf. Sie sollten sich auch mit einer gehörigen Portion Geduld
wappnen. Denn die Überwindung der Krise wird sich viel länger 
hinziehen, als vielen bewusst zu sein scheint - und noch weitere 
Kreise ziehen und Opfer fordern. Die Entwicklung dieser Tage zeigt 
dies deutlich. Die Verkündung des großen, global angelegten 
Rettungsplans hat an den überverkauften Aktienmärkten zu einer 
Gegenreaktion geführt, die ebenso heftig wie kurzlebig war. Zwar ist 
zumindest zunächst eine weitere Verschärfung der Krise abgewendet 
worden. Doch so schnell, wie sich das mancher vorstellt, kann der 
Plan die Krise nicht beheben.
Doch selbst wenn der Plan in absehbarer Zeit Wirkung im 
Finanzsektor zeitigen wird, bleibt immer noch das Rezessionsproblem. 
Hier hat sich das Bild in den zurückliegenden Tagen nochmals 
verdüstert, was an den Märkten für Ernüchterung gesorgt hat. Die 
US-Wirtschaft befindet sich im freien Fall. Auch am Freitag rissen 
die Hiobsbotschaften nicht ab. Nachdem am Vorabend ein über Erwarten 
deutlicher Verfall der Häuserpreise veröffentlicht worden war, folgte
ein überraschend starker Rückgang von Baubeginnen und -genehmigungen.
Auch Europa befindet sich am Rande der Rezession. Nichts anderes 
bedeutet letzten Endes die Prognose der Bundesregierung, die nun für 
das nächste Jahr ein Wachstum von nur noch 0,2% erwartet.
Mehr Geduld werden die Marktteilnehmer damit auch aufbringen 
müssen, was die Erholung bei der Ergebnisentwicklung der Unternehmen 
betrifft. Serienweise haben Unternehmen in der jetzt an Fahrt 
gewinnenden Quartalsberichtssaison Prognosen gestutzt oder sogar 
aufgrund der kaum noch einschätzbaren Lage eine Vorschau auf den 
kommenden Turnus verweigert. Letzteres ist kaum zu kritisieren, denn 
eine Aussage über die nächsten zwölf Monate ist in der jetzigen Lage 
kaum auf eine solide Grundlage zu stellen. Doch das wird die 
Aktienmärkte alles andere als beruhigen. Die Wende bei den 
Ergebnissen, die von manchen für das dritte, spätestens aber das 
vierte Quartal 2008 proklamiert wurde, wird noch länger auf sich 
warten lassen. Das Gleiche gilt für die Weltwirtschaft. Von einer 
Wende zum Besseren im Verlauf des ersten Halbjahres 2009 ist nicht 
mehr die Rede. Die Hoffnungen richten sich nun auf das zweite 
Halbjahr 2009, teilweise sogar auf den übernächsten Turnus.
Weiterhin können sich die Akteure an den Märkten nur gewiss sein, 
dass ihnen weiterhin heftige, völlig unberechenbare Kursschwankungen 
bevorstehen. Dafür spricht auch, dass sich nun immer mehr die 
Emerging Markets als potenzieller neuer Brandherd erweisen. Die vor 
noch nicht allzu langer Zeit gehegten Entkoppelungsträume, nach denen
die Schwellenländer aufgrund ihrer starken Entwicklung der 
zurückliegenden Jahre eine Immunität gegenüber Vorgängen in den 
Industrienationen entwickelt haben sollten, sind geplatzt. Wie sollen
sie sich auch den Problemen der etablierten Volkswirtschaften 
entziehen?
Die Kreditkrise sorgt nun einmal auch in den Emerging Markets für 
eine Kapitalverknappung. Noch schlimmer aber ist, dass Investoren aus
den Industrienationen in großem Umfang Mittel aus den 
Schwellenländern repatriieren. Außerdem sinken Nachfrage und 
Rohstoffeinnahmen. Mittlerweise gerät sogar das "Musterland" Russland
in die Bredouille. Die russischen Devisenreserven sind seit August um
11% bzw. 67 Mrd. auf 531 Mrd. Dollar geschrumpft. Experten befürchten
nun, dass die Bonitätsnoten Russlands, das aufgrund sprudelnder 
Einnahmen mit Öl und Gas als unverwundbar galt und den 
Investment-Grade-Bereich erreicht hat, wieder verschlechtert werden 
könnten.
Der Dax bewegt sich somit in einem Umfeld, das auch aus dem Warten
auf die Bodenbildung eine Geduldsprobe macht und neue Kurstiefen 
wahrscheinlich erscheinen lässt. Dass der Dow nach der Bekanntgabe 
der global koordinierten Stabilisierungsmaßnahmen den prozentual 
stärksten Tagesanstieg seit dem Zweiten Weltkrieg verbuchte, ist nur 
bedingt beruhigend. Denn die vier noch höheren Tagesgewinne 
ereigneten sich während des Crashs vom Herbst 1929 und der 
anschließenden Großen Depression.

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