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Börsen-Zeitung: Nun mal langsam! Börsenkommentar "Marktplatz" von Thorsten Kramer

Frankfurt (ots)

Sapperlot! Der Kursanstieg an Europas Börsen
gewinnt eine ungeahnte Dynamik. Trotz des Rückgangs des 
US-Verbrauchervertrauens und trotz der enttäuschenden Entwicklung der
Auftragseingänge in der US-Industrie kletterten wichtige Indizes wie 
der Dax und der Stoxx50 in der nun abgelaufenen Woche auf 
Jahreshochs. Selbst die mehr als zurückhaltenden Prognosen wichtiger 
Konzerne wie BASF und Siemens konnten sie dabei nicht bremsen. Unter 
Investoren finden vorrangig wieder nur die Neuigkeiten Gehör, die die
Hoffnungen auf das Ende der Rezession unterstützen. Aktienhändler 
sehen den Dax in ihrer Euphorie schon bald bei 5800 oder sogar 6000 
Zählern.
Nun aber mal langsam! Der steile Anstieg der vergangenen Wochen 
ist in erster Linie darauf zurückzuführen, dass Anleger vor dem 
Beginn der Berichtssaison extrem schwache Gewinnzahlen der 
Unternehmen erwartet hatten. Als die veröffentlichten Quartalsdaten 
zumeist nicht so schwach wie befürchtet ausfielen, kehrten diese 
Investoren schnell an die Börsen zurück. Die Phase, in der sich der 
Markt an die tatsächliche Gewinnentwicklung anpasst, dürfte nun aber 
bald auslaufen. Und wie sich die Gewinne in den kommenden Quartalen 
und im Jahr 2010 entwickeln, bleibt erst einmal abzuwarten. Bislang 
ist ein großer Teil der Gewinne mit Restrukturierungsmaßnahmen zu 
begründen, aber weniger mit einer Erholung der Nachfrage. Dies zeigt 
sich nicht zuletzt darin, dass mehr als die Hälfte der Unternehmen 
die Erwartungen der Analysten an die Umsatzentwicklung enttäuschten.
Hinzu kommt, dass die Berichtssaison nun bald ausläuft und der 
Aktienmarkt damit einen wichtigen Treiber verliert. Dann rücken 
wieder andere Faktoren in den Vordergrund, zu denen die technische 
Verfassung der Märkte zählt. Die hat sich zwar durch den steilen 
Anstieg verbessert, allerdings signalisieren wichtige Indikatoren, 
dass sich die Indizes längst in den Bereich vorgeschoben haben, der 
als überkauft bezeichnet wird. Daran schließt sich nicht selten 
relativ schnell eine Korrektur an.
Über die anschließende Tendenz der Aktienkurse werden die harten 
Fakten von konjunktureller Seite entscheiden. Erfüllen sie die 
Hoffnungen, die vor allem durch die Trendwende bei den 
Stimmungsindikatoren entstanden sind, besteht eine reelle Chance auf 
einen weiteren Kursanstieg im Jahresverlauf. Dafür spricht schon 
allein die enorm hohe Liquidität der Anleger bei gleichzeitig 
zunehmendem Mangel an Alternativen.
Die aktuelle Statistik des Bundesverbands Investment und Asset 
Management (BVI) wies für das erste Halbjahr bei Geldmarktfonds 
bereits einen Mittelabfluss von 11,1 Mrd. Euro aus; Aktienfonds 
sammelten im Gegenzug netto 4,9 Mrd. Euro ein. Die Entwicklung ist 
das Ergebnis des starken Rückgangs der kurzfristigen Zinsen. Das 
Ergebnis einer Umfrage der Nachrichtenagentur Reuters unter weltweit 
49 großen Investmentgesellschaften stützt die These, dass Investoren 
wieder mehr Interesse an Aktien zeigen. Der durchschnittliche Anteil 
dieser Assetklasse in den Portfolien lag demnach zuletzt schon bei 
57% und damit nur noch knapp unter dem Niveau zu Zeiten der 
Lehman-Brothers-Pleite im zurückliegenden Herbst.
Dennoch sind vor allem langfristig agierende Investorengruppen bei
Aktien immer noch stark unterinvestiert. So beträgt das in den USA in
Geldmarktfonds geparkte Vermögen immer noch mehr als 3500 Mrd. 
Dollar. Ein Teil dieser Gelder wird gezwungenermaßen an die 
Aktienmärkte fließen, wenn die Indizes weiterhin Stärke zeigen und 
dadurch hoher Performance- Druck etwa bei Vermögensverwaltern 
besteht. Darin steckt Potenzial für die Kurse.
Dass dieses positive Szenario mit vielen Fragezeichen behaftet 
ist, zeigt sich allein in der Reaktion der Märkte auf die 
Veröffentlichung der US-Wachstumsdaten am Freitag. Obwohl das 
Bruttoinlandsprodukt im zweiten Quartal um 1% sank und damit weniger 
stark als prognostiziert, rutschten die Indizes zunächst ab - eine 
deutliche Mahnung, dass die entstandenen Hoffnungen 
Enttäuschungspotenzial bergen. So ist es keineswegs ausgemacht, dass 
der Lagerzyklus nun - wie erwartet - die Auftragsentwicklung der 
Unternehmen und somit die Konjunktur belebt. Außerdem drohen 
Hiobsbotschaften vom Arbeitsmarkt, was den privaten Konsum hemmen 
wird. Kurzum: Für Euphorie gibt es keinen Grund. Anleger sollten 
wieder stärker auf die Risiken achten.
(Börsen-Zeitung, 1.8.2009)

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