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Börsen-Zeitung: Ohne Bodenhaftung, Börsenkommentar "Marktplatz" von Christopher Kalbhenn

Frankfurt (ots)

Begierig werden die Investoren in den nächsten
Handelstagen die Nachrichten aus der US-Wirtschaft aufnehmen. Denn es
steht eine Reihe wichtiger Daten an, darunter mit dem 
Arbeitsmarktbericht die weltweit am meisten beachtete 
Konjunkturindikation. Von noch größerem Interesse dürfte jedoch der 
Konjunkturindex des Institut for Supply Management für die 
verarbeitende Industrie vom August sein. Liegen die Volkswirte mit 
ihrer durchschnittlichen Prognose richtig, dann wird dieser viel 
beachtete Index erstmals seit der Lehman-Insolvenz wieder die 
Schwelle von 50 Punkten, die Wachstum von schrumpfender 
Wirtschaftsleistung trennt, überschreiten.
Letztlich sind diese Daten aber nur Bausteine für die derzeit 
alles andere überragende Frage für die Finanzmärkte: Erleben wir eine
V-förmige und damit schnelle und nachhaltige Erholung der 
Weltwirtschaft, oder droht uns eine W-Formation, das heißt ein 
erneuter konjunktureller Einbruch und damit eine längere Rezession? 
Die Aktienmärkte und die Energie- und Industriemetall-Segmente der 
Rohstoffmärkte setzen derzeit auf die schnelle Variante. Mit dem in 
der abgelaufenen Woche erreichten Jahreshoch von 5576 hat der Dax 
seit März - getragen insbesondere von Finanz- und zyklischen Sektoren
- rund 55% hinzugewonnen. Der New Yorker Terminmarktpreis für die 
Ölsorte WTI erreichte kürzlich ein Hoch von 75 Dollar, was gegenüber 
dem Tief vom Februar 2009 eine Verteuerung um zwei Drittel bedeutet. 
Kupfer erreichte zum Wochenschluss Preishöhen, die zuletzt Ende 
September und damit zwei Wochen nach dem Lehman-Kollaps gesehen 
worden sind.
Neben der immensen Liquidität und dem mit den Kurssteigerungen 
zunehmenden Anlagedruck treiben vor allem drei Faktoren die Rally an.
Die Unternehmensgewinne entwickeln sich nicht so schlecht, wie vor 
der Berichtssaison zum zweiten Quartal befürchtet worden war. Als 
Folge ist zweitens der Abwärtstrend in der Revision der 
Gewinnprognosen zum Ende gekommen, und drittens überzeugt eine Serie 
positiv überraschender Daten immer mehr Investoren von der schnellen 
Überwindung der Rezession. Allerdings gehen sie damit auch ein 
gewagtes Spiel ein. Denn der Höhenflug erfolgt in einer Phase, in der
noch keineswegs feststeht, dass der Aufschwung nachhaltig ist und 
damit ein Rückschlag mit hinreichender Sicherheit ausgeschlossen 
werden kann. Die aktuellen Erholungstendenzen erfolgen von einer sehr
stark gedrückten Basis aus. Außerdem fordert die Krise nach wie vor 
ihre Opfer. Zwar sind hohe Arbeitslosenraten nachlaufende 
Indikatoren, sodass die Schwäche der Arbeitsmärkte durchaus mit einem
in nicht allzu großer Ferne liegenden Aufschwung konsistent wäre. Es 
muss jedoch die Frage gestellt werden, ob in dem aktuellen Zyklus 
aufgrund der Stärke des Absturzes der Weltwirtschaft nicht größere 
Schäden angerichtet werden. Immerhin steigen die Arbeitslosenzahlen 
in den USA noch, auch wenn mit vermindertem Tempo, und die 
Arbeitslosenquote peilt die seit Jahrzehnten nicht mehr gesehene 
Schwelle von 10% an. In Japan wurde sogar eine Rekordarbeitslosigkeit
vermeldet, und in Deutschland wird mit dem Ende der Kurzarbeit das 
dicke Ende erst noch kommen. Weitere Risiken gehen von steigenden 
Insolvenzen aus, die ein durch die Krise stark geschwächtes 
Bankensystem treffen.
Nicht von der Hand zu weisen ist zudem das Risiko, dass der 
aktuelle Aufschwung im Wesentlichen auf die Korrektur des 
vorangegangenen, übertriebenen Leerfegens der Lager und die 
Ankurbelungsprogramme zurückzuführen ist. Wenn diese Faktoren 
auslaufen, könnte die Ernüchterung erfolgen. Gleichzeitig können von 
der globalen Geldpolitik bei Leitzinsen, die nicht weit von der 
Nulllinie entfernt liegen, nur noch in begrenztem Ausmaß neue Impulse
kommen.
Aktienmärkte warten zwar nicht auf den Beginn des Aufschwungs, 
sondern nehmen diesen vorweg. Insofern könnte die Rally der Aktien- 
und Rohstoffmärkte als positives Signal gewertet werden. Es muss 
jedoch auch die Frage gestellt werden, wieweit sich die Märkte von 
der Realität abheben dürfen, ohne einen Absturz zu riskieren, wenn 
sich nicht zeitig die Basis für die Kurssteigerungen einstellt.
(Börsen-Zeitung, 29.8.2009)

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