Börsen-Zeitung: Was sich Brüssel sparen kann, Kommentar zur Nettozahlerposition Deutschlands in der EU, von Detlef Fechtner.
Frankfurt (ots)
Deutschland zahlt wieder am meisten in den gemeinsamen Topf, und zwar auch nach Abzug aller Rückflüsse an Bauern, Forschungsinstitute und Gemeinden. Hand aufs Herz, darüber kann nun wirklich niemand in Schnappatmung fallen. Immerhin ist Deutschland die größte Volkswirtschaft der EU und seine Bürger sind wohlhabender als Polen oder Spanier. Auch dass der deutsche Nettobeitrag noch steigt, taugt nicht wirklich als Aufregerthema. Denn darin spiegelt sich die erfreuliche Tatsache wider, dass die deutsche Wirtschaft 2010 schwungvoll gewachsen ist.
Bemerkenswerter als der überschaubare Anstieg der deutschen Nettoposition sind die stärkeren Zuwachsraten anderer Zahlmeister, insbesondere der Schweden und Briten. Denn diese Trends führen dazu, dass eine große und politisch wichtige Gruppe von EU-Staaten ähnlich stark mit Nettobeiträgen belastet wird: Belgier, Deutsche, Schweden, Briten, Niederländer - und mit geringem Abstand sogar Italiener, Franzosen, Dänen und Österreicher. Es ist aus deutscher Sicht beruhigend, dass die Lasten der EU-Finanzierung ausgeglichener verteilt werden. Denn bald geht der Billionen-Poker über die künftige Ausstattung des EU-Haushalts bis 2020 in die heiße Phase. Gut, wenn sich dann mehrere Schwergewichte in vergleichbarer Lage wie Deutschland befinden.
Denn dieses Mal steht viel auf dem Spiel. Bei den Strukturfonds wird richtigerweise die EU-Erweiterung zu einer Verschiebung der Hilfen nach Osten führen. Gleichzeitig wird in der Agrarpolitik wohl besonders stark bei großen Höfen gekürzt. Das trifft vor allem Ostdeutschland. Da diese zusätzlichen Einbußen für Staaten, die bereits jetzt große Nettozahler sind, kaum zu verhindern sein werden, kommt es darauf an, dass die EU-Zentrale im Gegenzug die Ausgaben generell möglichst klein hält. Was sich Brüssel sparen kann, muss sich Brüssel sparen. Für "nice to have"-Ideen fehlt das Geld - und die Akzeptanz. Denn niemand würde verstehen, wenn der EU-Haushalt spürbar erhöht würde, während EU-Beamte von nationalen Finanzministern eiserne Sparbemühungen verlangen.
Die Botschaft der jüngsten Nettozahler-Daten heißt deshalb nicht, dass Estland oder Portugal doch bitte schön demnächst mehr zahlen sollen als Deutschland oder Belgien. Aber die hohen Belastungen der nationalen Budgets in Berlin, London oder Stockholm sind ein weiteres Argument für die Forderung der großen Zahler, den EU-Haushalt dauerhaft bei einem Prozent der Wirtschaftsleistung zu deckeln.
(Börsen-Zeitung, 4.10.2011)
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