Börsen-Zeitung: Verquere Logik, Marktkommentar von Christopher Kalbhenn
Frankfurt (ots)
Ein neues Schreckenswort treibt derzeit rund um den Globus die Akteure an den Finanzmärkten um, und es klingt nicht gut. Es heißt "tapering", was sich für deutsche Ohren auf den ersten Eindruck so anhört, als sollte damit verbotenes Zündeln mit Streichhölzern im ausgedörrten Wald beschrieben werden. Doch diese Übersetzung täte der Geldpolitik der amerikanischen Notenbank Fed ebenso Unrecht wie die extreme Unruhe und die heftigen Kursbewegungen, mit denen die Marktteilnehmer auf den von ihr signalisierten Kurswechsel reagieren. Tatsächlich bedeutet "tapering", so ist dem Internet-Wörterbuch Leo zu entnehmen, nichts anderes als "Reduzieren".
Es ist schon erstaunlich, wie schreckhaft die Märkte auf die Äußerungen von Fed-Chairman Ben Bernanke vor dem Kongress am 22. Mai sowie am 19. Juni nach der Sitzung des Offenmarktausschusses der Notenbank reagiert haben. Denn Bernanke hat zwar eine Art Ausstiegsszenario aus dem Quantitative Easing (QE), dem Kauf von Anleihen durch die Fed, präsentiert. Doch war das wirklich eine Überraschung? Stellte das wirklich einen plötzlichen geldpolitischen Schwenk dar, wie in dem einen oder anderen Medium zu lesen war?
Schon lange angekündigt
Wohl kaum. Die US-Währungshüter bereiten die Märkte schon seit geraumer Zeit auf das Ende des QE vor, fanden aber wohl bis vor kurzem nicht überall Gehör. Schon in der zweiten Jahreshälfte 2012 wurde in einem Tagungsprotokoll des Offenmarktausschusses wie beiläufig eine Diskussion unter führenden Fed-Vertretern veröffentlicht und dabei wurden auch Zweifel einzelner Ausschussmitglieder am Sinn der Anleihekäufe bzw. ihrer Fortführung erwähnt. Ohne Absicht geschah dies mit Sicherheit nicht.
Die Ankündigungen Bernankes waren aber nicht nur nicht neu. Im Grunde genommen ist ihr Inhalt auch völlig banal und keineswegs erstaunlich. Niemand kann ernsthaft annehmen, dass die außergewöhnlichen Maßnahmen, mit denen die Notenbanken weltweit den Finanzsystemen und der Realwirtschaft unter die Arme greifen, bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag fortgesetzt werden können. Das kann auch niemand wollen. Denn abgesehen von dem schädlichen Fehlverhalten, das durch die Gewöhnung langfristig entstehen würde, würde dies doch signalisieren, dass die Lage der Wirtschaft und des Finanzsystems so katastrophal ist, dass es noch viele Jahre lang nicht ohne künstliche Beatmung geht. Zudem kann kaum ernsthaft unterstellt werden, dass die Fed ihre Anleihekäufe "ohne Rücksicht auf Verluste" einstellen wird. Denn das würde die Zielsetzungen von QE - Stabilisierung des Finanzsystems und Erholung der Konjunktur bzw. Senkung der Arbeitslosigkeit - konterkarieren. Die Notenbank hat auch zugesichert, dass sie behutsam vorgehen und auf den Zustand der Wirtschaft Rücksicht nehmen wird.
Das Verhalten der Märkte folgt einer verqueren Logik. Denn tatsächlich bedeutet der Kurswechsel der Fed eine gute Nachricht. Die US-Währungshüter sind überzeugt, dass der Zeitpunkt, an dem das Finanzsystem und die Wirtschaft robust genug sein werden, um auf Stützung verzichten zu können, nicht mehr weit weg ist; aus Sicht des Aktien- und auch des Credit-Markts wahrlich keine beunruhigende Tatsache. Irrig sind auch Befürchtungen, dass es zu einem starken Zinsanstieg im langen Laufzeitenbereich kommen wird. Es wird allenfalls einen moderaten Anstieg geben, zum einen weil die Leitzinsen noch lange niedrig bleiben werden und zum anderen da das aktuelle Umfeld keineswegs inflationär ist. Ein moderater Anstieg der Anleihezinsen stellt lediglich eine Normalisierung dar und hat auch positive Seiten. Der Anlagenotstand institutioneller Investoren wie Lebensversicherer und Pensionsfonds wird gemildert; der Druck, das Anlagerisiko zu erhöhen, wird abnehmen.
Ein Risiko muss allerdings beachtet werden. Es kann nicht ganz ausgeschlossen werden, dass es im Zuge der geldpolitischen Veränderung zu Phasen panikartiger Anleiheverkäufe kommt und die Zinsen dadurch in kurzer Zeit zu hoch steigen. Das könnte gravierende Folgen für Banken und nicht zuletzt die Peripheriestaaten haben. Allerdings haben die Fed und andere Notenbanken eben deswegen kürzlich signalisiert, dass nicht mit einer abrupten und dramatischen geldpolitischen Wende zu rechnen ist. Damit haben sie gezeigt, dass sie sich dieses Risikos bewusst sind. Es kann daher in den kommenden Monaten von einer sehr bedachten Kommunikationspolitik ausgegangen werden. Außerdem verfügen die Notenbanken über Eingriffsmöglichkeiten und haben ihre Bereitschaft signalisiert, diese gegebenenfalls auch einzusetzen.
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