Börsen-Zeitung: Endspiel in Washington, Börsenkommentar "Marktplatz", von Dieter Kuckelkorn.
Frankfurt (ots)
So wie es derzeit aussieht, werden der amerikanischen Volkswirtschaft und den internationalen Finanzmärkten im Rahmen des Streits um US-Haushalt und Schuldengrenze wohl die schlimmsten Szenarien erspart bleiben. Denn mittlerweile hat sich der Ton der Auseinandersetzung zwischen Regierung und Opposition geändert, und es kündigt sich eine neue Beweglichkeit an. So scheint sich sogar ein Teil der ultrakonservativen Tea-Party-Fraktion von der Idee zu entfernen, über eine Haushaltsblockade die verhasste Gesundheitsreform des Präsidenten ("Obamacare") zu Fall zu bringen. In Washington hat in der Auseinandersetzung wohl das Endspiel begonnen. Allerdings fehlt es trotz der in einer offenbar konstruktiven Atmosphäre laufenden Gespräche noch an einer tragfähigen Übereinkunft, und der US-Regierung und den Bundesbehörden mangelt es weiterhin an den erforderlichen Haushaltsmitteln für ein normales Funktionieren.
Aber selbst wenn sich die Positionen der beiden Parteien nicht hinreichend schnell aufeinander zu bewegen und es nicht zu einer rechtzeitigen Anhebung der Schuldengrenze kommt, wird aus Sicht der Märkte noch nicht sofort die große weltweite Krise ausbrechen. Diese Einschätzung ist auch der Grund dafür, dass starke negative Reaktionen an den Märkten bislang ausgeblieben sind. Es dominiert die positive Sichtweise: So hat am Donnerstag Wall Street erste Hinweise auf Kompromissbereitschaft gleich mit einer Rally quittiert: Der Standard&Poor's500 (S&P500) zog um immerhin 2% an, der Dow Jones um 2,2%.
In dem Fall, dass sich die Gespräche unerwartet lange hinziehen, wäre laut Berechnungen der US-Regierung am 17. Oktober die Schuldengrenze erreicht. Dann würde das US-Finanzministerium noch über eine Reserve von etwas 30 Mrd. Dollar verfügen. Diese dürften noch bis etwas Ende Oktober reichen, erwarten die Analysten der DZ Bank. Da es bei US-Staatsanleihen grundsätzlich keine sogenannte "Grace period", also einen Tilgungsaufschub, gibt, müssten die großen Ratingagenturen die Einstufung der USA im Fall der ersten ausbleibenden Zahlung auf "Selective Default" (teilweise Zahlungsausfall, "SD") stellen. Dies würden sie aber wohl nur mit größter Zurückhaltung tun - nicht zuletzt mit Blick darauf, dass sich Ratingagenturen in der Vergangenheit nach Herabstufungen der US-Bonität plötzlich einer (damit natürlich in keinerlei Zusammenhang stehenden) Untersuchung ihres Geschäftsgebarens durch US-Strafverfolgungsbehörden ausgesetzt sahen.
Wie die Erfahrung einer verspäteten Zinszahlung des amerikanischen Finanzministeriums in einer ähnlichen politischen Situation im Jahr 1979 gezeigt hat, dürfte es zu einem deutlichen Ansteigen der Nervosität kommen, das sich in nach oben schnellenden kurzfristigen Zinsen manifestiert. Zu einer Kernschmelze des Weltfinanzsystems würde es aber sicherlich erst einmal nicht kommen - zumal die Marktteilnehmer die Gewissheit haben, dass die USA grundsätzlich über eine ausreichende Finanzkraft verfügen. Mit einem "Meltdown" wäre erst nach einigen Monaten zu rechnen, wenn Kreditinstitute rund um den Globus umfangreiche Abschreibungen auf ihre US-Treasury-Bestände vornehmen müssten.
Je mehr Stunden und Tage sich ein Zahlungsverzug der USA und eine politische Blockade in Washington hinziehen würden, desto schwerwiegender wären laut Einschätzung der DZBank die Konsequenzen in Gestalt einer Austrocknung des US-Interbankenmarktes und steigender Risikoprämien von Treasuries. Zudem wäre auch damit zu rechnen, dass der Greenback unter starken Druck gerät und der Aktienmarkt parallel zur Lage nach der Pleite der Investmentbank Lehman Brothers in den Sinkflug übergeht. So fand sich der S&P500 sechs Monate nach dem Lehman-Konkurs auf einem um 46% niedrigeren Niveau wieder.
Hinzu kommen die konjunkturellen Auswirkungen eines sich hinziehenden Ausgabenstopps der US-Regierung. Hier zeichnet sich noch kein Ende ab, denn bisher lassen die Republikaner Kompromissbereitschaft nur bei der Schuldengrenze erkennen. Aber auch diese Auswirkungen dürften beherrschbar sein, zumal die US-Notenbank Federal Reserve (Fed) die Möglichkeit hat, diese mit zusätzlichen quantitativen Maßnahmen erheblich abzumildern.
Es ist also zu erwarten, dass sich die Nervosität an den Märkten in den nächsten Tagen in Grenzen halten wird, auch wenn sich das Endspiel in Washington noch hinzieht. Sobald aber eine Einigung erreicht ist und der Abpfiff ertönt, ist mit einer kurzen, aber heftigen Erleichterungsrally zu rechnen.
(Börsen-Zeitung, 12.10.2013)
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