Börsen-Zeitung: All-in, Kommentar zur EZB von Mark Schrörs
Frankfurt (ots)
Es war lange Zeit so etwas wie das Tabu schlechthin in Euroland - aber nun ist es Realität: Die Europäische Zentralbank (EZB) kauft für Hunderte Milliarden Euro Staatsanleihen aller Euro-Länder. Quantitative Easing, kurz QE, lautet das Zauberwort. EZB-Präsident Mario Draghi und die Mehrheit im EZB-Rat wollen damit nach eigener Lesart jegliche Deflationsgefahr im Keim ersticken. Der Schritt ist aber nicht so alternativlos, wie ihn Draghi & Co. darstellen; der Nutzen kaum so groß, wie die QE-Apologeten behaupten; dafür aber die Risiken so immens, wie es die Kritiker monieren. Draghi geht volles Risiko - "All-in", hieße das beim Poker - und läuft Gefahr, am Ende mit leeren Händen dazustehen. Und völlig entzaubert.
Bitte keine Hysterie
Keine Frage, die EZB hat zuvor schon Staatstitel gekauft - von 2010 bis 2012 im Zuge des Securities Markets Programme (SMP), vor allem griechische, italienische und spanische Papiere. Das Votum pro QE aber hat eine ganz neue Qualität - und das nicht nur wegen der Volumina: Staatsanleihekäufe werden zum "normalen" Instrument der EZB.
Was vielen Euro-Hütern unruhige (Tag-)Träume beschert, ist die im Dezember auf -0,2% abgesackte Inflation. In den ersten Monaten 2015 könnte es sogar noch weiter nach unten gehen. Aber wer die Eurozone damit in einer Deflation wähnt, neigt zur Hysterie. Der Fall unter die Nulllinie ist zuvorderst dem Verfall der Ölpreise geschuldet. Eine sich selbst beschleunigende Abwärtsspirale, in der die Verbraucher in Erwartung sinkender Preise Käufe aufschieben und das die Wirtschaft lähmt, ist weiterhin nicht erkennbar.
Überhaupt scheint eine solche Negativspirale wie in den 1930er Jahren weit weniger oft vorzukommen, als es manch alarmierte Warnung vermuten lässt. Die BIZ, die Zentralbank der Zentralbanken, warnt zu Recht, das Deflationsrisiko zu überschätzen und mit einem aggressiven Gegensteuern mehr Schaden anzurichten als Nutzen zu stiften. Wenn eine Geldschwemme zu neuen Finanzexzessen führt, geht das schnell nach hinten los.
Natürlich ist es für die EZB ein Problem, wenn die Inflation das Ziel von knapp 2 % derart deutlich verfehlt. Aber dafür gibt es gute Gründe - neben dem Ölpreisverfall die Preis- und Lohnanpassungen in den Krisenländern. Die EZB täte gut daran, weniger Energie auf politische Winkelzüge zu verwenden und stattdessen klar zu machen, dass sie die zurückgehenden Inflationsraten gut begründen kann und diese großteils positive Effekte haben. Das würde mehr Vertrauen schaffen als das Beschwören einer Deflationsgefahr oder eine kurzatmige Geldpolitik. Und was viele zu vergessen scheinen: Die Geldpolitik ist auch ohne QE so locker wie nie zuvor. Geld gibt es quasi zum "Nulltarif".
Auf jeden Fall aber sollte sich niemand der Illusion hingeben, dass QE nun wie eine Art Allheilmittel wirkt. Die Effekte auf die Realwirtschaft im Euroraum scheinen limitiert: Die Renditen der Staatsanleihen befinden sich bereits auf historischen Tiefs, der Euro hat schon stark abgewertet. Zudem dominiert die Kreditvergabe über Banken, nicht über die Kapitalmärkte. Und wer sagt überhaupt, dass die EZB in Zeiten eines großen Anlagenotstands genug Verkäufer findet, zumindest bei soliden Papieren und zu vernünftigen Preisen?Es ist nun eine große Gefahr, dass Draghis letztes Ass nicht sticht - und das ohnehin sinkende Vertrauen der Euro-Bürger in die EZB als Garant für eine stabile Währung vollends schwindet.
Entscheidend ist es deshalb, dass die Politik endlich ihrer Verantwortung gerecht wird: Wichtiger als jede neue Liquiditätsspritze ist jetzt die Reparatur des Finanzsystems, wichtiger als weiter sinkende Renditen sind Strukturreformen, wichtiger als eine schwächere Währung sind solide Finanzen. Und wenn es doch eines Impulses für die Nachfrage bedarf, sind zukunftsgerichtete Investitionen nun sicher das bessere Mittel als mehr billiges Geld. Also: Berlin, Paris, Brüssel - übernehmen Sie! Leider aber schwindet mit jeder neuen EZB-Hilfe der Reformeifer - da kann Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) noch so vehement das Gegenteil einfordern.
Die andere große Gefahr schließlich ist, dass Staaten ihr Heil noch mehr in Schulden suchen. Draghi mag da noch so auf Distanz zur Fiskalpolitik gehen - die Kommentare aus vielen Hauptstädten sind entlarvend: Viele sähen die EZB gerne in der Rolle eines ultimativen Kreditgebers. Und die EZB wird sich solchen Begehrlichkeiten immer weniger entziehen können.
Ein Problem dabei hat die EZB nun ein wenig umschifft. Den Großteil der Käufe tätigen die nationalen Zentralbanken auf eigenes Risiko. Das kommt nicht zuletzt deutschen Sorgen vor einer Umverteilung fiskalischer Risiken über die EZB-Bilanz entgegen - also quasi vor "Eurobonds durch die Hintertür". Aber zum einen kommt es eben doch zu einem kleinen Teil zu einer solchen Vergemeinschaftung und zum anderen lässt sich hinterfragen, was diese Lösung am Ende wert ist, wenn es zu einem Zahlungsausfall kommt. Und schließlich ist das Ausdruck mangelnder Einigkeit. Bedenken über einen ersten Schritt zur Renationalisierung der Geldpolitik sind nicht von der Hand zu wiesen.
Der Kern der Malaise
Das führt letztlich zum Kern der Malaise: Die EZB muss immer wieder als Ausputzer der Handlungsunfähigkeit und -unwilligkeit der Politik herhalten und Konstruktionsschwächen der Eurozone kaschieren. Das kann auf Dauer nicht gut gehen. Welche Währungsunion wollen wir wirklich? Wie sehr sind wir bereit, füreinander einzustehen? Die Politik hat aktuell wenig Appetit, solche zentralen Fragen zu stellen - und schon gar nicht, sie zu beantworten. Aber das ist essenziell für die Zukunft der Währungsunion. Es ist Aufgabe der demokratisch legitimierten Politik, solche Antworten zu geben - und nicht die der Notenbank.
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