Börsen-Zeitung: 100 Tage Ernüchterung, Kommentar zum Mindestlohn von Angela Wefers
Frankfurt (ots)
Eine Frist von 100 Tagen ist neuen Amtsinhabern oder Projekten üblicherweise als Schonfrist vergönnt. In dieser Zeit werden Anlaufschwierigkeiten verziehen. Dem neuen flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn der schwarz-roten Regierung war dies allerdings nicht vergönnt. Die Kritik daran ist nie verstummt. Und tatsächlich ist die Bilanz nach den ersten 100 Tagen ernüchternd.
Unverändert gilt die grundsätzliche Kritik: Mit dem Mindestlohn hat Schwarz-Rot in einem weiteren Schritt dem Ordnungsprinzip der Sozialen Marktwirtschaft den Rücken gekehrt. Lohn darf kein Instrument zur Armutsbekämpfung sein. Dafür gibt es geeignete, sozialpolitische Mittel. Lohn ist in der Marktwirtschaft der Preis für den Faktor Arbeit. Ein gesetzlicher, nicht von den Tarifparteien verhandelter Mindestlohn bleibt eine staatliche Preisvorgabe und konterkariert das Wirtschaftssystem. Der Eingriff schwächt zudem die Autonomie der Tarifparteien. Forderungen nach einem höheren Lohn als 8,50 Euro pro Stunde werden schon laut. Auch der Ruf nach dynamischer Anapassung.
Der von vielen Wirtschaftsforschern befürchtete Verlust von Arbeitsplätzen zeigt sich bislang nicht. Für sichtbare Reaktionen auf die Einführung des Mindestlohns dürfte es allerdings noch zu früh sein. Zudem ist die Lage am Arbeitsmarkt anhaltend gut. Tatsächlich geht es dabei nicht nur um den Verlust von Arbeitsplätzen, sondern auch darum, ob der gesetzliche Mindestlohn den Aufbau von Beschäftigung bremst. Dies wird sich zeigen.
Sicher ist: Das von der SPD vorangetriebene und von CDU/CSU mitgetragene Projekt ist mangelhaft umgesetzt. Die Wirtschaft ächzt seit Beginn der Neuregelung unter den enormen zusätzlichen Bürokratielasten. Die Arbeitgeber beklagen rechtlich vage Vorgaben etwa beim Umgang mit flexiblen Arbeitszeiten oder beim Einsatz von Praktikanten zur Berufsorientierung. Unklar ist ferner, welcher Arbeitgeber für den Lohn haftet. Zudem obliegen die ausführlichen Dokumentationspflichten auch Unternehmen, die deutlich über dem Limit vergüten - als würden hierzulande flächendeckend Dumpinglöhne gezahlt.
Für SPD und Union gilt: Sie müssen den fortgeführten Wahlkampf beenden und sich der Realität stellen. Schadensbegrenzung bei der Umsetzung des Mindestlohns ist das Gebot. Diese Korrekturen dürfen nicht kleinen und mittleren Unternehmen quasi als Almosen zugestanden werden, wie in Teilen von CDU/CSU erwogen. Es geht um alle Arbeitgeber - kleine wie große.
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