Börsen-Zeitung: Im Reformrausch, Kommentar zu China von Norbert Hellmann
Frankfurt (ots)
Mit der alten Börsianerweisheit "Sell in May and go away" scheinen es Chinas spekulationsfreudige Aktienanleger nicht so genau zu nehmen. Trotz allfälliger Anzeichen einer Überhitzung an Chinas Festlandbörsen kann die im weltweiten Vergleich mit Abstand kräftigste Hausse weitergehen. Die exorbitanten Kursgewinne der vorigen Monate locken immer neue Scharen von Kleinanlegern, die im Kollektiv so reichlich Liquidität einbringen, dass der Rally nicht die Puste ausgeht.
Ende April hatte der Hauptindex Shanghai Composite bei gut 4500 Punkten ein Siebenjahreshoch erreicht, das nur schwer zu toppen schien. Man musste befürchten, dass immer neue Enttäuschungen an der Konjunkturdatenfront von der Hoffnung auf weitere Leitzinssenkungen nicht mehr aufgewogen werden können. Binnen weniger Tage ist der Shanghai Composite auf über 4900 Punkte hochgeschossen und nimmt raschen Anlauf auf die 5000er Marke. Binnen Jahresfrist kommt man auf eine wahnwitzige Performance von 120% für einen wohlgemerkt marktbreiten Index.
Chinas Aktionäre haben neue Fantasiemotive gefunden, um den Dynamikverlust der Wirtschaft wie auch der Unternehmensgewinne weiter in den Hintergrund rücken zu lassen. Gegenwärtig ist es vor allem die Reformmusik der Regierung, die Gehör findet. In jüngster Zeit hagelt es Verlautbarungen des Staatsrates, mit denen schon früher ventilierte Vorhaben zu Finanzreformen, der Zulassung von Infrastrukturprojekten mit privater Kapitalbeteiligung, der Senkung von Importzöllen zur Konsumanregung, der Aufforstung mobiler Netzwerke oder technologischen Fitnessprogrammen für die Industrie neu in Erinnerung gerufen werden. Bei den Anlegern kommt dies als Signal an, dass die Band neu aufspielt und die Fete weitergeht.
Für professionelle Aktienwatcher gilt, dass sie mit an Fundamentalfaktoren und Kurs-Gewinn-Verhältnissen aufgehängten Prognosen den Ereignissen hoffnungslos hinterherjagen. Chinas Börsenhausse ist eine liquiditätsgetriebene Chose. Angesichts eines noch immer sehr geringen Anteils des Sparvermögens der Privaten, das den Weg in die Aktienanlage gefunden hat, gibt es auch bei immer strapazierter wirkenden Bewertungsrelationen quasi unbegrenzten Munitionsvorrat für eine Fortführung der Rally. Weissagungen zu einem raschen Platzen der Blase erübrigen sich damit. Vielmehr kann man davon ausgehen, dass der Mai ein echter Wonnemonat für chinesische Anleger wird, die noch nicht verkaufen und gehen.
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