Börsen-Zeitung: Im Vorhof der Panik, Kommentar zum Kurseinbruch an den Aktienmärkten von Christopher Kalbhenn
Frankfurt (ots)
An den Aktienmärkten grassiert die Angst. Als wäre eine Lawine losgegangen, hat sich das Tempo der Abwärtsbewegung, das schon am Freitag an Fahrt gewonnen hatte, am Montag noch einmal deutlich beschleunigt. Spätestens mit den Verlusten von gestern, als der Dax bis zu 7,8% einbüßte, sind die Worte Crash oder Schwarzer Montag nicht mehr übertrieben. Ablesbar ist die Annäherung an den Panikzustand nicht nur am Ausmaß der weltweiten Verluste der Indizes, die in den freien Fall übergingen.
Nicht minder deutlich ist das Bild, das die Volatilitätsindizes bieten. Diese Indizes messen die von den Marktteilnehmern erwarteten Kursschwankungen und damit vereinfacht ausgedrückt die Angst. Gestern sprang der VDax New um 30% und erreichte bei mehr als 40 Zählern den höchsten Stand seit dem Jahr 2011, als die Staatsschuldenkrise des Euroraums die Marktteilnehmer verschreckte. Darüber hinaus schwollen die Handelsumsätze am Aktienmarkt deutlich an, so dass nun mit Fug und Recht auch von einem Ausverkauf gesprochen werden kann.
Epizentrum des Börsenbebens ist China. Seit das Land seine Währung abgewertet hat, haben sich die Befürchtungen über eine harte Landung seiner Wirtschaft deutlich verstärkt. Dass der chinesische Einkaufsmanagerindex auf rund 47 Punkte gefallen ist und damit deutlich unter der kritischen Schwelle von 50 Zählern liegt, hat am Freitag Öl ins Feuer gegossen, und der heftige Einbruch an den chinesischen Börsen hat den Marktteilnehmern dann gestern den Rest gegeben. China ist jedoch nicht der einzige Unsicherheitsfaktor.
Hinzu kommen die Schwäche der Rohstoffpreise und der Emerging-Market-Assets insgesamt, die bevorstehende Parlamentswahl in Griechenland sowie vor allem das nervenaufreibende Rätseln über den Zeitpunkt der Leitzinswende in den Vereinigten Staaten. Letztlich müssen die Aktienmärkte mit dem Crash aber auch für vorangegangene Übertreibungen büßen. Die Notierungen sind durch die ultralockere Geldpolitik bzw. das Niedrigzinsumfeld der Realität weit vorausgeeilt bzw. wesentlich stärker gestiegen, als dies aufgrund der Entwicklung der Unternehmensgewinne angebracht war.
Aufwertung korrigiert
Angesichts der aktuellen Zusammenballung von Belastungsfaktoren liegen die Marktteilnehmer sehr wahrscheinlich nicht falsch, wenn sie sich zumindest für die nächste Zeit auf anhaltend starke Kursschwankungen einstellen. Allerdings müssen die Gründe des Ausverkaufs auf ihre realwirtschaftliche Bedeutung hin überprüft bzw. kritisch hinterfragt werden. So wird im Zusammenhang mit der Yuan-Abwertung übersehen, dass China zuvor aufgrund der Bindung an den Dollar zusammen mit den USA die Last des globalen Abwertungswettlaufs getragen hat. Tatsächlich hat das Land mit der Maßnahme nur einen Teil der Last, die ihm durch die Abwertungsmaßnahmen vor allem des Euroraums und Japans aufgebürdet wurden, abgeworfen; es handelt sich lediglich um eine teilweise Korrektur einer deutlichen Aufwertung. Die chinesische Währung ist mit 7,38 Yuan pro Euro immer noch teurer als zum Jahreswechsel (7,51 Yuan), und zur Mitte des zurückliegenden Jahres lag sie noch bei 8,51 Yuan.
Darüber hinaus darf die realwirtschaftliche Bedeutung der Verluste an den von Privatanlegern getriebenen festlandchinesischen Aktienmärkten nicht überschätzt werden. Zwar haben die Einbußen einen psychologischen Effekt. Die Auswirkungen auf die Weltwirtschaft werden jedoch gering sein. Darüber hinaus sollte bedacht werden, dass die vielfältigen Stützungsmaßnahmen, die die chinesischen Behörden ergriffen haben, erst noch ihre Wirkung entfalten werden und zudem wahrscheinlich noch weitere Maßnahmen folgen werden, um der Wachstumsschwäche sowie dem Kursverfall am Aktienmarkt entgegenzuwirken.
Bis auf weiteres wird jedoch die Ungewissheit darüber, wie weit sich das Wachstum Chinas noch abschwächt, erhalten bleiben und die Märkte verunsichern. Erschwerend kommt die mangelnde Datenqualität bzw. Transparenz hinzu. Die offiziellen Wachstumszahlen - darin sind sich die Experten einig - sind zu hoch. So passen etwa die Daten zum Energieverbrauch in dem Land nicht zu einem Wachstum von 7% und mehr.
Mehr Transparenz würde sicherlich helfen, die Märkte zu beruhigen. Im Falle der chinesischen Daten wird das wohl ein frommer Wunsch bleiben. In puncto US-Leitzinswende gäbe es aber eine Möglichkeit. Es ist zu hoffen, dass die Fed Aufforderungen, die Leitzinswende weiter hinauszuschieben, widersteht. Denn das würde die Unsicherheit und damit die Marktirritationen nur in die Länge ziehen bzw. verstärken. Eine Zinserhöhung schon im September verbunden mit klaren Signalen, dass der Leitzins nur sehr behutsam und insgesamt in überschaubarem Ausmaß angehoben wird, würde aus der großen Unbekannten eine bekannte Größe machen.
Ist der Markt von dieser Ungewissheit befreit, wäre auch der Blick für die volle Hälfte des Glases wieder frei. Zwar sinken die Wachstumserwartungen für die Weltwirtschaft. Fakt ist aber, dass sie wächst und nicht stagniert. Auch ein Wachstum in China von vielleicht 5% wäre immer noch ein ansprechendes Wachstum. Die USA leiten zwar - hoffentlich in September - die Zinswende ein. Global ist die Geldpolitik jedoch expansiv. Die Notenbanken Eurolands, Japans und nun auch Chinas treten aufs Gaspedal. Darüber hinaus haben die Bewertungen an den Aktienmärkten wieder moderatere Bereiche erreicht, und der von den Turbulenzen ausgelöste Rückgang der Anleiherenditen hat die relative Attraktivität der Dividendentitel wieder erhöht.
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