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Börsen-Zeitung: Draghis Scheuklappen, Kommentar zur Geldpolitik von Stephan Lorz

Frankfurt (ots)

So deutlich wie selten zuvor hat EZB-Präsident Mario Draghi offenbart, dass er - und mit ihm eine "sehr große Mehrheit" seiner Ratskollegen - in einer völlig anderen Notenbankwelt leben, als sie noch bei der Gründung der Europäischen Zentralbank bestanden hatte. Die gestern bekannt gegebene weitere Lockerung der Geldpolitik hat die Märkte zwar zunächst enttäuscht, weil Draghi formal weniger "geliefert" hat, als erwartet worden war. Doch gab er zugleich klar zu verstehen, dass die EZB bereit ist, weit darüber hinauszugehen; und sie sich auch nicht scheut, extreme Positionen einzunehmen. In den aktuellen Entscheidungen sind hierzu auch zahlreiche Hintertüren offengelassen worden.

Wie ernst es Draghi mit seinem geldpolitischen Kurs ist, illustriert etwa sein Verständnis zum Wesen der Notenbankbilanz. Die Sorgen mancher Ökonomen wegen der hohen Bestände von Staatsanleihen und der damit einhergehenden Gefahr monetärer Staatsfinanzierung und Verzerrung der Marktverhältnisse teilt er gar nicht. Für ihn ist die Bilanz nur ein Mittel, um Preisstabilität herzustellen. Bilanzielle Schranken gibt es in dieser Welt nicht. Die Feuerkraft, so die Lesart, ist unendlich. Ein Blick auf die desaströse Lage in Japan zeigt allerdings, wohin eine solche Politik führt.

Auch die mit der geldpolitischen Lockerung verbundenen Nebenwirkungen scheinen ihn nicht zu kümmern. Man sei sich ihrer zwar bewusst, doch gebe es bislang keine Hinweise auf etwaige Gefahren. Im Übrigen sei hierzu nicht die Geldpolitik in der Pflicht, sondern die makroprudentielle Politik der Regulierer. Deutlicher kann man nicht sagen, dass Geldpolitik nach dem Verständnis der EZB nur dann gut ist, wenn sie alles um sich herum vergisst und einzig das Inflationsziel im Auge behält. Sie muss strikt "fokussiert" sein - man kann auch sagen: Sie ist mit Scheuklappen versehen.

Und was sind die Erfolge der Lockerungspolitik bislang? Draghi reklamiert, dass die Zinsen und damit die Kreditkosten gefallen sind, was nach EZB-Berechnungen die Inflation um 0,5 Basispunkte und das Wachstum um rund einen Prozentpunkt höher ausfallen lassen. Und da das noch nicht genug sei, müsse eben nachgelegt werden - "neu kalibriert", heißt das in EZB-Sprache. Doch wie nachhaltig ist so eine künstliche Entwicklung? Und was tut die EZB, wenn die Konjunktur immer noch lahmt, die Geldpolitik aber die Altersvorsorge vieler Menschen zerschießt und sich neue Finanzblasen bilden? Kollateralschäden, würden die Militärs das nennen. Und auch Draghi nimmt es hin.

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