Börsen-Zeitung: Die Stunde der Politik, Kommentar zur EZB von Stephan Lorz
Frankfurt (ots)
In der akuten Phase der Finanzkrise hat das zügige Handeln der Europäischen Zentralbank (EZB) das Auseinanderbrechen der Eurozone verhindert. Dann kam die Stunde der Politik - die diese aber hat verstreichen lassen. Die Währungsunion ist daher bis heute unvollkommen geblieben. Eine Fiskalunion gibt es nicht. Die einzelnen Regierungen meinen, sich weiter an keine Abmachungen halten zu müssen, agieren eher gegen- als miteinander. Deshalb bleibt das Konstrukt Eurozone in höchstem Maße labil, was es empfindlich macht gegenüber Schocks jeglicher Art. Stets muss mit dem Ende des Euro-Experiments gerechnet werden.
Bislang hat die EZB die Währungsgemeinschaft allen Widrigkeiten politischer Untätigkeit zum Trotz zusammenhalten können. Doch neue multidimensionale Herausforderungen machen ihr nun Probleme: Innerhalb der Eurozone nimmt die Zahl ihrer Gegner weiter zu, nationalistische Tendenzen werden stärker. Das schwächt das Konstrukt von innen, weil es weitere Souveränitätsübertragungen blockiert. Mit dem Brexit-Votum der Briten wird zudem die Europäische Union infrage gestellt. Trotzdem scheint die Politik in ihren stereotypen Verhaltensweisen gefangen: Rom wettert gegen Berlin wegen des Umgangs mit italienischen Banken. Die Ostländer sorgen sich um ihre Sicherheit, wollen andernorts aber keine Kompromisse eingehen. Frankreich verkämpft sich in der Innenpolitik. Und die Iberer drehen weiter an der Schuldenschraube. Zudem droht im Falle der Wahl eines Donald Trump zum US-Präsidenten eine der größten politischen Eruptionen der vergangenen Jahrzehnte überhaupt: Politische Gewissheiten würden erschüttert, die Machtgeometrie würde verzerrt. Eine in sich gefestigte Eurozone wäre also wichtiger denn je!
Erneut ist es die Stunde der Politik. Auch wenn die Politiker in den Euro-Hauptstädten die EZB zum Handeln drängen - die Notenbanker müssen der Versuchung diesmal widerstehen. Das sollte ihnen umso leichter fallen, als sie mit ihrer Geldpolitik erkennbar an eine imaginäre Grenze gestoßen sind. Die Käufe von Unternehmens- und Staatsanleihen sowie die Negativzinsen untergraben ihre Glaubwürdigkeit eher und stärken obendrein die eurofeindlichen Kräfte. Das darf Draghi nicht riskieren. Insofern war es weise, dass sich die EZB gestern zurückgehalten hat. Auch im September sollte sie zuwarten. Denn die aus der Unsicherheit gespeisten Risiken sind nicht monetärer Natur. Es geht nicht um die Preisstabilität, sondern um politische Stabilität.
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