Börsen-Zeitung: Tauben in Vilnius, Kommentar zur EZB von Julia Wacket
Frankfurt (ots)
Zwar waren es am Donnerstag keine echten Tauben, die über dem Himmel von Vilnius geflogen sind, geldpolitisch gab sich die Europäische Zentralbank (EZB) jedoch so taubenhaft wie sie nur konnte. Die Notenbank verschaffte sich mehr Spielraum, ohne die Zinsen direkt anzutasten. Sie verschob die Leitzinswende um ein halbes Jahr und lässt sich damit alle Optionen offen, um flexibel auf die vielen Risiken zu reagieren, denen sich die Eurozone ausgesetzt sieht. Das ist zwar nachvollziehbar, denn eine außergewöhnliche Weltpolitik erfordert sicherlich auch eine außergewöhnliche Geldpolitik. Trotzdem ist die erneute Verschiebung des Ausstiegs aus der ultralockeren Geldpolitik ein schlechtes Zeichen - zumal selbst Draghi kein Interesse hat, den eigentlich vorgesehenen Abschied von Negativzinsen abzubrechen.
Dass es dazu kommen musste, ist aber nicht die Schuld von Draghi, Powell und Co., sondern vor allem die von Trump, Salvini und Co. Bis auf die schwache Inflation sind es vor allem die zahlreichen globalen Brandherde wie Handelsstreit, Haushaltsstreit und Brexit, die die weltweite Konjunktur bedrohen und die Notenbanken in Bedrängnis bringen. Ohne die politischen Risiken ginge es der Wirtschaft eigentlich gut.
Und als ob eine chaotische Politik nicht genug wäre, sind es auch die Märkte, die den Spielraum der Notenbanker eingrenzen. Denn diese wetten schon seit geraumer Zeit auf Zinssenkungen und haben wenig Vertrauen, dass die Geldpolitiker die Inflation angesichts der vielen Konflikte in den Griff bekommen. Auch an sie hatte Draghi eine wichtige Botschaft, nämlich dass die EZB die Zinsen zwar erst mal nicht anheben, aber auch nicht senken wird. Er hat somit mit seinem wichtigsten geldpolitischen Instrument den Zinssenkungserwartungen der Märkte den Wind aus den Segeln genommen. Auch der nächste EZB-Präsident - selbst wenn er Deutscher wäre - würde an dieser Forward Guidance nichts ändern können, sollten die Risiken nicht verschwinden.
Zwar verwies Draghi darauf, dass er noch andere geldpolitische Instrumente im Ärmel habe und auch nutzen könnte. Wirklich tun will er dies aber nicht, da die Zinsen schon unter der Nullgrenze liegen und das Anleihekaufprogramm erst vor kurzem beendet wurde. Umso wichtiger ist es aber, dass Notenbanken in diesen unsicheren Zeiten darauf verweisen, dass andere wirtschaftspolitische Bereiche, insbesondere die Fiskalpolitik, ihre Hausaufgaben erledigen müssen. Draghi richtete bereits mahnende Worte an Italien und die USA. Hoffentlich hat man dort zugehört.
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