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Mehr Schein als Sein, Marktkommentar zum Rubel von Wolf Brandes

Frankfurt (ots)

Der Schlagabtausch zwischen dem Westen und Russland nimmt auf ökonomischer Ebene immer wieder überraschende Wendungen. Die USA und die EU hatten zuletzt neue, noch schärfere Sanktionen angekündigt. Am Freitag nun senkte die russische Notenbank den Leitzins auf 17 %. Mit der Zinssenkung möchte die Central Bank of Russia (CBR) offensichtliche erste Schritte in Richtung Normalität andeuten. Auch der Wechselkurs weist darauf hin, denn der Rubel ist wieder auf das vor Ausbruch des Krieges erreichte Niveau gestiegen. Mit Kriegsbeginn hatte die Zentralbank den Leitzins von 9,5 % auf 20 % mehr als verdoppelt, während der Rubel auf ein Allzeittief stürzte.

Mit der Rubel-Abwertung scheint es vorerst vorbei - sehr zur Überraschung der meisten Beobachter. Das russische Finanzsystem steht aber weiterhin unter Druck. Erst kürzlich untersagten die USA russischen Institutionen, Anleihen mit Geldern von eingefrorenen Konten zu bedienen. Die Commerzbank vermutet, dass mit diesem Schritt ein technischer Zahlungsausfall immer wahrscheinlicher wird. Doch der Rubel steigt und steigt - bis auf ein Niveau von in der Spitze 76,50 Rubel pro Dollar. Verglichen mit dem Tief ist die russische Währung um fast 80 % gestiegen.

Die Erklärungen für die auf den ersten Blick widersinnige Rubel-Stärke sind vielschichtig. Zum einen sei der Rubel-Kurs kein echter Marktkurs, sagt Xueming Song von der DWS. Die Unternehmen müssten ihre Deviseneinnahmen bei der Zentralbank abliefern. Dadurch entstehe kurzfristig mehr Nachfrage nach Rubel. Die Commerzbank argumentiert, dass der Rubel so lange keine frei konvertierbare Währung sei, wie die russische Zentralbank Gegenstand von Sanktionen sei. "Entscheidend ist die Unfähigkeit des Finanzsystems, Rubel frei in Hartwährung zu konvertieren, und die Tatsache, dass sanktionierte Oligarchen und Unternehmen nicht mehr auf ausländische Bankkonten überweisen können", kommentiert Antje Praefcke von der Commerzbank. Gerade diese beiden Mechanismen seien wesentliche Komponenten eines normalen Kapital- und Devisenverkehrs - und damit der Grund, warum der Rubel-Kurs aktuell kein echter Preis sei.

Ein Blick auf die anderen Märkte zeigt, dass der erholte Rubel-Kurs wenig mit normalen Verhältnissen zu tun hat. Verglichen mit der Erholung des Wechselkurses hätten russische Aktien beziehungsweise die Anleihenspreads nach dem Absturz keine besondere Erholung gezeigt. Der Moex notiert etwa 28 % unter Vorkriegsniveau und die Rendite für zehnjährige russische Staatsanleihen lag Anfang des Jahres bei 8,4 %, stieg in der Spitze auf 14,1 % und beträgt aktuell 10,9 %. "Damit erhärtet sich die These, wonach die Resilienz des Rubel devisenspezifischen Faktoren und der Handelsbilanz Russlands geschuldet ist", heißt es bei der Commerzbank.

Eine weitere Erklärung für den Rubel-Kurs dürfte sein, dass weiterhin Einnahmen aus Energieexporten nach Russland fließen und das Land umgekehrt immer weniger importiert. "Im Ergebnis stützt dies ganz offensichtlich den Rubel, zumindest temporär. Wie lange genau all dies anhält: schwer zu sagen", so die Analyse der LBBW. Im Markt ist zu hören, dass China und Indien viel Öl und Kohle aus Russland abnehmen, das zum Teil in Yuan gezahlt wird, und dass Indien einen Abschlag von 10 bis 15 % zum Marktkurs bekommen habe. Unter solchen Bedingungen kann der Überschuss Russlands lang anhalten - mit entsprechenden Folgen für den Rubel. "Da die Kapitaltransfers ins Ausland in der Regel relativ groß waren, was seit dem Krieg ja weggefallen ist, könnte ein Überschuss von Deviseneinnahmen entstanden sein. Genau kann das nur die russische Zentralbank sagen", so die DWS.

Sofern das Land durch neue Sanktionen zunehmend von der Weltwirtschaft abgeschnitten wird, dürfte sich die Leistungsbilanz Russlands weiter verbessern, weil weiter Energie exportiert wird, wohingegen andere Importe implodieren, argumentiert auch die Commerzbank. Sie ist aber überzeugt: "Die fehlende Rubel-Schwäche bedeutet nicht, dass Sanktionen keine Wirkung erzielen."

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